Raise Awareness III:

One Shot - Warm Blue

 

Autorin: Ivy

 

Kalt und beißend war der Wind, der durch den Park fuhr. So kalt und beißend wie der Schnee, der vom Himmel fiel und die graue Welt unter sich begrub. Es roch nach dem Salz des Meeres, nach den Gebäcken in den warmen Wohnzimmern und frisch aufgebrühtem Tee. Man hörte Gelächter von Kindern und Weihnachtsmusik durch geöffnete Fenster in die Einsamkeit der aufkeimenden Nacht dringen, die Herzen derer erreichend, die offen für diese Zeit waren. Für das Fest der Liebe. Der Nähe. Des Zusammenseins. Clover schnaubte, zog an ihrer Zigarette und pustete den Qualm gen schwarzen Himmel, sah zu, wie dieser verblasste. So sehr mochte sie die Zeit um den letzten Monat des Jahres herum, doch dieses Jahr verpönte sie die Tage der Festlichkeit. War genervt, verspürte vielleicht sogar Hass. Schwer zu sagen war dies, denn eigentlich hatte sie nicht in der Kälte sitzen müssen. Hätte nicht eine Zigarette nach der anderen vernichten und sich dann wundern müssen, warum sie hustete wie ein krankes Mütterchen, obwohl sie erst 21 Jahre maß und kerngesund war. Doch würde es ein Wunder sein, wenn dies so blieb. Seit Stunden schon saß das Mädchen in der Kälte, wollte nicht zurück in die warme Stube, die sie bereits am Nachmittag fluchtartig verlassen hatte. Die Erinnerung verdrängend, fuhr sich Clover durch das blaue, kurze Haar, zog erneut an dem Glimmstängel, ehe sie ihn austrat, sich erhob und durch den Schnee stiefelte. Heute Morgen war die Welt noch in Ordnung gewesen. Heute Morgen. Und dann … war alles den Bach hinunter gegangen …

 

 

Wenn Gwen lachte, lachte die Welt mit ihr. Und Clovers Herz ging auf. Wenn Gwen tanzte, tanzte nicht nur ihr Körper, sondern auch ihre Seele. Und, wenn Gwen gesagt hätte „Spring.“ wäre Clover gesprungen. Alles hätte Clover für sie getan. Alles. Sogar bis ans Ende der Welt wäre die Blauhaarige für sie gegangen. Doch scheinbar wäre dies nur seitens Clover geschehen …

 

 

Mürrisch hob die 21 Jährige den Kopf, als ein Geräusch ihre Gedanken unterbrach und aus der Ferne sich eine Gestalt aus der Finsternis löste. Gern hätte es Clover gesehen, wenn dies Gwen gewesen wäre, doch war es nur ein junger Mann, vielleicht etwas älter als sie, der an einem Baum lehnte und die Flocken betrachtete. Auch zwischen seinen Lippen klemmte eine Zigarette und mit Missmut stellte Clover fest, dass die ihre alle waren. Beinahe böse starrte sie auf das glühende Ende dieser, was der Fremde mitbekam und wortlos eine Packung hervorzog, sie ihr rüber reichte. Clover schnaubte, was einem Danke gleichkam und entnahm sich zwei der Tabakstäbchen, ehe sie schwieg. „Schöne Nacht, oder?“ Seine Stimme klang weit entfernt, als wäre er nicht gänzlich da und Clover zuckte mit den Schultern. „Geht so ...“ Sie zog ihre Jacke enger, verharrte. „Das klingt nicht gut ...“ Sein Blick erfasste sie. Helle blaue Augen hatte er und würde Clover Männer mögen, wäre dies hier wohl ein guter Fang. Doch so … War er nur ein Typ von vielen. Wieder zuckte sie mit den Schultern. „Sitzt hier schon ne Weile, hm?“ Wieder ein Zucken und er trat den Rest des Stängels aus. „Magst mitkommen? Hab sicher noch heiße Schokolade da … oder so ...“ Oder so …

 

 

„Weißt du noch, wie wir uns zum ersten Mal getroffen haben?“ Gwen grinste in der Dunkelheit und wühlte sich aus ihrer Decke heraus, starrte zu Clover, die das Grinsen erwiderte. „Wie könnte ich das vergessen?“ Einen kurzen Moment herrschte Stille. „Du hast nicht in den Klassenraum gefunden und ich musste dich sogar bis zu deiner Bank bringen, weil du Angst hattest, nicht pünkltich anzukommen.“ Clover lachte leise bei der Erinnerung, griff nach Gwens Hand, drückte diese. „Und du warst damals schon niedlich.“ fügte die junge Frau hinzu, während Gwen verhalten lächelte. „ … nur niedlich?“ kam es plötzlich frech zurück, was Clovers Grinsen breiter werden ließ. „Und klug. Und gewitzt … und talentiert … und ….“ „Schon gut, schon gut ...“ Gwen rollte sich auf den Bauch, musterte sie. „Ich fand dich damals so cool. Du warst so rebellisch und anders …. Und du hast dieses ganze Punkerzeug schon damals getragen …“ Clover klatschte. „Ist halt mein Ding ...“ Dann kam wieder Stille auf. Es lag etwas in der Luft, das spürten sie.

„Gwen?“

„Hm?“

„Ich …. ich liebe dich ….“

 

 

Seine Wohnung war nicht gerade ordentlich, doch Clover beschwerte sich nicht. Ihre sah auch nicht viel besser aus. Sie nahm auf seine Bitte hin Platz auf der etwas schmuddeligen Couch, räumte dabei ein ganzes Stück Müll beiseite und übersah höflich die Joints, wandte sich lieber ihrem Gastgeber zu.

„Darf ich deinen Namen erfahren?“

„Tate. Und du bist?“

„Clover ...“

„Freut mich … Ähm … Macht das was, wenn keine Sahne auf der Schokolade ist? Ich war nicht einkaufen.“

Clover schüttelte den Kopf. „Kein Problem ...“

Tate nickte und verschwand in Richtung Küche, kam nach einer ganzen Weile mit zwei dampfenden Tassen zurück, reiche ihr eine davon. Der Geruch war Clover so vertraut. Und doch erschien jene Erinnerung so fern …

 

 

Mit einem Lächeln reichte Gwen ihr die dampfende Tasse und kuschelte sich unter der Decke an sie. Beide saßen sie auf der Couch im Wohnzimmer von Clovers Wohnung und genossen einen gemütlichen Abend zu zweit. Clover verschränkte die Finger mit denen ihrer Freundin, küsste sie und strich ihr zärtlich eine Strähne des braunen Haares hinter ihr Ohr. „Es ist fast ein Jahr … seit wir zusammen sind ...“ murmelte die Punkerin und ihre Freundin nickte, nippte an ihrer Tasse. „Ist es …“ Kurz zögerte sie. „Ich werde Weihnachten zu meinen Eltern gehen. Sie fragen schon, wann ich mal wieder bei ihnen aufschlage.“ sprach Gwen leise. „Hast du … ihnen von uns erzählt?“ Clover legte das Kinn auf die Schulter der jungen Frau, die zögerte. „Also nicht ...“ Es klang beinahe enttäuscht. „Warum nicht?“ Ein unsicheres Schulterzucken war die Antwort, was der Blauhaarigen einen Stich im Herzen versetzte. „ … wirst du es ihnen noch sagen? Das mit uns?“ Wieder zögerte die Brünette neben ihr. „Gwen?“ Clover löste sich von ihrer Freundin, die sie nicht ansah.

„Ich … ich weiß nicht. Sie sind da … ein bisschen komisch. Eingefahren eben … Und ...“

„... du willst nicht dazu stehen, wer du bist?“ Beinahe ungläubig starrte Clover sie an, ließ ihre Hand langsam los.

„Du verstehst nicht ...“ Gwen fuhr sich über die Stirn. „Sie wären enttäuscht von mir … Und vielleicht ...“

„Enttäuscht? Warum?“ Clover schnaubte. „Nur, weil du keine Männer lieben kannst? Nur, weil du mit einer Frau zusammen bist?“

„Clover … bitte. Es … Einmal sahen wir ein schwules Pärchen und mein Vater meinte abfällig, dass er froh ist, mit solchen Schwuchteln nichts zu tun zu haben ...“

Wütend erhob sich die Blauhaarige. „Ist das dein Ernst?!“

Gwen wich ihrem Blick aus, starrte weiter in ihre Tasse. „Wir können doch … auch so zusammen sein ...“

„... ich will mit dir zusammen sein, Gwen. Aber ich will auch, dass wir dazu stehen. Und uns nicht verstecken.“

„Die meisten akzeptieren das doch nicht … Zwei Frauen. Zusammen. In einer Liebschaft ...“

Wiederholt schnaubte Clover. „Weißt du … Ich habe meiner Familie den Rücken kehren müssen, weil sie es nicht verstanden haben. Aber wenigstens habe ich zu meiner Neigung gestanden. Ich mag keine Männer. Und das ist okay. Ich bin ich. Und ich stehe dazu. Und mir ist egal, was alle anderen sagen. Es gibt welche, die akzeptieren das ganze. Es gibt welche, die tun es nicht. Kann uns doch egal sein … Oder nicht?“

Beinahe hoffnungsvoll sah sie Gwen an, die noch immer schwieg.

„Ich … ich bin nicht du, Clover ...“ Klamm wurde der Angesprochenen, heiß und kalt.

„Heißt das, du willst dich ewig verstecken?“

„Das heißt nur … dass ich … es meinen Eltern … nicht sagen will ...“

 

 

„Und? Genießbar?“ riss Tates Stimme sie aus ihren Gedanken und Clover beeilte sich, zu nicken. „Ja. Danke. Echt ...“ Mutig lächelte sie, nahm einen weiteren Schluck. „Du schaust nicht so aus ...“ Sie schüttelte den Kopf. „Nee. Ist nur … Ich hatte Streit mit … jemandem.“ Tate griff neben sich, entzündete eine weitere Zigarette. „Mit deinem Freund?“ Clover schüttelte wieder den Kopf. „Mit meiner Freundin.“ Tate pustete den Rauch in die Luft. „Ach so … Bist lesbisch.“ Clover nickte, wartete auf eine abfällige Bemerkung, die jedoch ausblieb. „Und warum habt ihr euch gestritten?“

„Sie … will nicht zu dem stehen, was sie ist … wer sie ist.“

Tate nahm einen weiteren Zug. „Machen die meisten nicht. Liegt am Umfeld. Zu wenig Verständnis und Respekt. Hab selbst aufgrund meiner Neigung keinen Kontakt mehr zu meiner Familie … Ist aber nicht schlimm. Hab Freunde und Leute, die checken, dass ich bin, wie ich bin. Vielleicht rafft sie´s ja auch ...“

Clover zuckte mit den Schultern. „Vielleicht … Aber ich glaube, sie hat zu viel Schiss. Ich … rede nachher nochmal mit ihr.“ Tate drehte die Kippe in seiner Hand.

„Ja. Mach das. Kann nicht schaden … Und, wenn der schlimmste Fall eintritt, kannst ja herkommen. Ist n Adventstag. Sollte keiner allein sein, meinst nicht?“

Clover grinste. Tate schien ihr schwer in Ordnung zu sein, wenngleich er auch etwas neben der Spur wirkte. Und doch hoffte sie, dass der „schlimmste Fall“ nicht eintreten würde …

 

 

„Warum kannst du nicht einfach dazu stehen? Warum verleugnest du unsere Beziehung und damit mich?!“ Beinahe schrie es Clover und immer weiter sank Gwen in sich zusammen.

„Ich will doch nur … nicht ….“

„Was? Von anderen schief angesehen werden? Oder, dass man über dich tratscht? Dass man mit dem Finger auf dich zeigt? Das ist feige, Gwen! Mir gegenüber!“ Clover nahm ihre Jacke, schlüpfte wutentbrannt in ihre Schuhe.

„Wo willst du hin?“ Gwen stand hinter ihr, unsicher.

„Weg. Den Kopf freibekommen.“ Dann wandte sie sich der Brünetten zu. „Ich will mit dir zusammen sein, Gwen. Ich … Du musst mich ja nicht deinen Eltern vorstellen … oder deinen Freunden. Aber verstecken sollst du dich nicht … Das ist alles! Ich weiß, wie schwer das ist … Und ich weiß, dass Eltern manchmal sehr sehr anstrengend sein können und … das alles nicht verstehen. Aber, wenn sie dich lieben, dann lieben sie dich so, wie du bist. Klar hast du Angst. Hatte ich auch. Haben wir alle … Aber es ist gesünder zu dem zu stehen, wer man ist.“

„Du sagst das so leicht ...“ Gwen schluckte.

„Wenn du wirklich alles verleugnen willst, dann geh besser ...“ Clover wollte dies nicht, ganz und gar nicht. Doch mit jemandem zusammen sein, der nicht zu ihr stand, nicht einmal zu sich selbst stand … das würde sie auf Dauer unglücklich machen.

„Clover ...“

Diese wandte sich, öffnete die Tür. „Meine Gefühle für dich sind aufrichtig und ich verstehe deine Angst. Aber bitte versteh auch, dass ich deine Hand nehmen und dich küssen will. Und nicht nur hier, wo es keiner sieht. Ich stehe zu dir, egal, wo. Egal, wann. Und ich hoffe … dass auch du … zu mir stehst.“ Mit diesen Worten verließ sie ihre Wohnung ….

 

 

Es war kurz vor Mitternacht als Clover ihre kleine 2-Zimmer-Wohnung betrat und die plötzliche Stille wie einen Schlag zu spüren bekam. Als das Licht aufflammte, war ihr klar, dass Gwen sich entschieden hatte. Und zwar … nicht für sie. Die Sachen ihrer Freundin … Exfreundin … waren fort und hinterließen nicht nur Leere in ihren Räumlichkeiten. Nein, auch in Clovers Herzen. Wortlos drehte sich die 21 Jährige um und verließ ihr Domizil. Weg von dem Ort, an dem so viele Erinnerungen hafteten. Weg von dem Geruch von Gwen, der noch im Flur lag. Weg von dem Zweitschlüssel, der auf der Anrichte lag. Weg von allem …

Als Clover klingelte, dauerte es keine zwei Sekunden bis Tate die Tür geöffnet und die Lage begriffen hatte. Wortlos nahm er sie in den Arm, zog sie ins Warme und zurück auf die Couch, schwieg eine Weile, während Tränen sich ihren Weg bahnten. Wortlos reichte er Clover Taschentücher, strich ihr über den Rücken. „Eines Tages lernst du ein Mädel kennen, was dich nicht nur liebt, sondern auch dazu steht. Glaub´s. Und die, die jetzt gegangen ist, wird sich in den Hintern beißen ...“ Clover schniefte. „Ja … vielleicht ...“ Sie war enttäuscht. Verletzt. Und froh, in diesem Moment nicht allein zu sein. Sicher liebte sie Gwen noch immer. Sicher wollte sie sie bei sich haben. Doch wollte sie auch jemanden, der zu ihr stand. In jeder Lebenslage. Und Tate hatte Recht … Es gab mit Sicherheit eine solche Person. „Die Zeit heilt alle Wunden ...“ kam es altklug von Tate.

„ … leider nicht die Dummheit und Ignoranz der Menschen …“

„ … wohl wahr, kleine Clover … wohl wahr ….“

Kommentare: 2
  • #2

    Prinzessin Dracula (Sonntag, 20 Dezember 2015 23:06)

    DANKE, Ivy, dankeschön für diese kleine Geschichte.
    Clover erinnert mich total an Chloe aus dem Spiel "Life is strange". Und ich find Chloe total cool und Clover mag ich auch sehr gerne. Sie hat blaue Haare, das bedeutet, sie hat Geschmack xD *selbst blaue Haare hat*

    Ich hoffe sehr, dass Gwen irgendwann zu dem stehen kann, was sie empfindet, denn nichts ist schlimmer, als sich selbst zu belügen und zu versuchen, es allen anderen Recht zu machen.
    Und ich hoffe, dass Clover eine neue Freundin findet, die schon weiter ist als Gwen - hey, wie wäre es denn, wenn wir Clover und Zola verkuppeln? ^-^

    Ich freu mich schon sehr auf das morgige Türchen! <3

  • #1

    Franzi (Sonntag, 20 Dezember 2015 14:48)

    Das war nun wohl der letzte Teil dieser bewegenden Reihe, oder?
    Ich bin wirklich unfassbar froh, dass du diese gestartet hast, Ivy. Jedes einzlne Thema ist so wichtig und es gäbe noch viel mehr, die angesprochen werden könnten.
    Mir hast du immer etwas zum Nachdenken gegeben.
    Wenn ich zum Beispiel den Ausspruch von Gwens Vater lese, wird mir noch einmal klar, dass es noch immer Idioten gibt, die keinerlei Toleranz zeigen, geschweige denn offen sind. Und das müsste man doch im 21. Jahrhundert erwarten können, oder?
    Ein riesen Lob an dich und ein herzliches Dankeschön für diese bewegende Reihe. :-)
    Ich würde mich freuen, wenn das ein oder andere ernstere Thema auch mal in der Geschichte angesprochen werden könnte.