Die stummen Wächter

 

by Ivy

 

Kalt und leblos starrten sie in die tiefe Nacht, in der die weißen Flocken im Winde des kalten Nordstromes tanzten, während ein Schatten, kaum zu erkennen am Firmament, über die Dachgiebel des Dorfes flog. Ein Rabe sang sein Lied, ein Krächzen, welches noch weit, weit zu hören war und erst mit dem erneuten Pfeifen des Windes verklang. Hätten sie sich rühren können, so wären sie dem Ruf gefolgt, denn sehr dürstete es die Stummen Wächter, die steinernen Riesen am Tore des Internats, nach der Ferne. Zu lange her war es, dass sie gebraucht worden waren. Hunderte Jahre wohl schon. Und die Ewigkeit erschien ihnen wie die Weite des Universums, leer und ohne Hoffnung, verloren zwischen all dem Glanz und all dem Leben. Allein die Bindung zwischen ihnen hielt das letzte Fünkchen Hoffnung aufrecht, das zu erlischen drohte, obgleich ihres jahrelangen Stillstandes. Denn einst, so erinnerten sie sich beide, da gab es jene Tage der Unruhen, an denen sie mit Leib und ihrer magischen Seele all das verteidigt hatten, was nunmehr um sie herum stand. Eine glorreiche Zeit. Eine Zeit, voller Schrecken, voller Heldentaten. Voll fließender Energie. Und sie entsandten die Bilder zum Geiste des anderen, um sich zu wärmen an jenen Erinnerungen, die sie noch immer klar vor sich sahen.

 

 

Es war eine Zeit, in denen Aldcrest noch ein geteiltes Reich war, so erinnerte sich der Stein. Es war eine Zeit, in denen die Bestien noch frei und wild waren und das Böse noch weit verbreitet im Land regierte. Es war lange her, so sagte jede Faser der erstarrten Körper und doch fühlten sich noch immer die mächtigen Klingen, die sie in ihren Händen trugen und all die Feinde beseitigten, die ihnen vor die Waffe kamen. Lang, lang war es her, sprach der eine Wächter. Und doch erinnere ich mich an die Ängste und die Furcht der Menschen, ob sterblich, ob magisch, ob jung, ob alt. Sie alle zitterten im Angesicht des drohenden Unwetters, dass die Grafschaften heimsuchte.

 

 

Ich erinnere mich, sprach der andere Wächter, an drei Männer, die mitten in der Nacht hier her kamen und all jene versklaven wollten, die hier lebten. An ihre hasserfüllten Gesichter, an ihr höhnendes Lachen und die wabernde Magie, die bösartig und bissig um ihre Finger geglitten war.

 

 

Man rief uns, gab der erstere von sich. Man rief nach uns und wir folgten dem Ruf. Wir folgten ihm und fingen all die Magie ab, beschützten das, was wir nun vor uns sehen. Die Klingen, die man nach uns warf, waren zuckende Schatten. Und wir haben beständig dagegen angekämpft.

 

 

Wir haben gewonnen. Der Zweite von ihnen schien beinahe von Stolz erfüllt. Wir gewannen und retteten sie. Und sie dankten es uns mit wunderschönen, dufteten Blumenkränzen und Tanz, mit langen Nächten und mit der Hoffnung und dem Frohsinn in ihren Augen.

 

 

Der Stein bedauerte, all dies weder hatte schmecken noch riechen zu können, doch hatte er das Glück gefühlt, das ihn durchströmte.

 

 

Ich erinnere mich, so kam es von dem zweiten Wächter, an unsere Erschaffung, als eine große Schlacht im Gange war. Ich erinnere mich an jeden Stein, der uns zusammen fügte und an all die Erinnerungen, die jeder von ihnen mit sich brachte. Und an das Gesicht, das zu unserem Vater gehörte.

 

 

Er lächelte, sprach der erste Wächter, und wir versuchten, es ihm gleich zu tun. Und konnten es nicht. Doch wir lächelten im Inneren. Und dann, so erinnere ich mich, war Krieg. Dieser Ort war nur Schlamm und Matsch und Blut. Es war Jahre zuvor gewesen und wir waren erschaffen worden, um die Schlacht zu beenden, die hier tobte.

 

 

Es war der Anfang von allem, redete der zweite weiter. Sie erbauten auf dem Boden, auf dem wir siegten, Dörfer und eröffneten ihre Ländereien und bauten an. Viele kamen und viele gingen und die Orte veränderten sich. Wurden größer. Sie setzten uns um. Vor diesen Ort.

 

 

Männer mit langen Bärten kamen, entsann sich der erste. Und sie herrschten über diesen Ort. Es kamen seltsame Männer und Frauen, in seltsamen Gewandungen und mit seltsamen Ansichten. Sie brachten neue Sitten mit hier her und der Ort veränderte sich mehr und mehr.

 

 

Ich mag es, warf der zweite Wächter ein. Es hält uns am Leben. All das Lachen, das jetzt hier herrscht. All das Kribbeln der Adern unter uns und in ihnen. Es schürt die Hoffnung, dass wir noch gebraucht werden.

 

 

Das werden wir, antwortete der erste Wächter. Wir waren seit dem Anbeginn hier, wiederholte er. Seit Jahrhunderten wachen wir hier. Und wir werden auch weiterhin hier wachen. So lange man uns braucht, wird Leben in uns sein.

 

 

Das wird es, stimmte der zweite zu. Lass uns ruhen, bis man uns weckt. Die Erinnerungen wiegen schwer, schwerer als unser steinern Herz. Es soll es uns nicht zerbersten.

 

 

Ja. Ja, lass uns ruhen. Der Winter möge uns zudecken mit all seiner Pracht. Vermag uns die Magie hold sein.

 

 

Das wird sie. Das war sie immer. Und du wirst noch hier sein und ich werde noch hier sein. So, wie unser Vater es von uns wünschte. Wir waren, wir sind, wir werden sein.

 

 

Für immer, gab der erste zurück, ehe seine Stimme verklang und der Stein in Schweigen verfiel. Stumm und starr zum Himmel sah, auf Aldcrest blickte, wo der Rabe noch immer sein Lied sang und die Flocken ihrem Tanze folgten.

 

 

Für immer, stimmte der zweite zu, ehe sein Geist sich zur Ruhe legte. Für immer …

 

Kommentare: 3
  • #3

    Prinzessin Dracula (Dienstag, 20 Dezember 2016 20:12)

    Die Wächter ... wie schön, dass sie sich an ihre "wache" Zeit erinnern. Wie sie ihre Erinnerungen miteinander teilen und ganz wie Franzi sagt, ein Gefühl von Zusammenhalt vermitteln.
    Der Text ist, obwohl voll von Geschehen, Kampf und Bewegung, ganz ruhig und leise erzählt und ich finde es total schön und angenehm zu lesen. Auch, dass die Anführungszeichen fehlen, wenn die Wächter "reden", finde ich ganz passend.

    Ich freu mich so, dass dir das Bild gefällt, Ivy- Also natürlich freue ich mich auch, wenn es allen anderen gefällt, aber da es deine Figuren sind ... ;-)

  • #2

    Ivy (Montag, 19 Dezember 2016 09:01)

    Boah, ich muss ja gestehen, ich habe schon jeden Tag hibbelig auf dieses Bild gewartet :) Und ich liebe, liebe, LIEBE es immer noch. Gott, meine Mädels ... Ich glaube, ich weine gleich v.v Das ist so schön, mit den Farben und den Gesichtsausdrücken und den blauen Haaren vorallem! Ich liebe das Blau von Clovers Haaren^^ Und das Grau von Aévyns Augen. Mann, Mädel, du hast es echt drauf. Du hast ja sogar an die Armbänder von Clover gedacht und an die Kopfhörer von Aévyn XD Gott. Das ist so geil. So. Geil.

    Love it <3 Love it so, so much <3 <3 <3

  • #1

    Franzi (Montag, 19 Dezember 2016 08:22)

    "Es war der Anfang von allem."
    Ivy, welche wunderbar magisch, geheimnisvolle Worte am Morgen. Die Geschichte der stummen Wächter ist so traurig und zugleich so hoffnungsvoll, sie weckt ein regelrechtes Gefühl des Zusammenhaltes, lässt dennoch Böses erahnen, wenn sie sagen, dass die Zeit, in der man sie erneut braucht, kommen wird.
    Nicht nur die Geschichte ist so schön, sondern auch die Wortwahl. Die Sätze und bildhaften Darstellungen fließen ineinander über, lassen eins daraus entstehen und gehen unter die Haut. Vielen Dank für diese wundersame Geschichte. Die stummen Wächter oder wohl auch die stummen Helden. :-)

    Und liebste Prinzessin, passender hätte dein Bild zu Aévyn und Clover wohl kaum erscheinen können, nach der gestrigen ersten Annäherung der Beiden. Das Bild hebt sich von den vorherigen ab und passt doch so wunderbar. Es stimmt sehr nachdenklich, wie du die Beiden dargestellt hast, Clover so viel "größer", cooler, Aévyn weicher, aber doch bloß auf den ersten Blick.
    Wie immer wunderbar.

    Ich wünsche Euch eine schöne Woche. :-)