Raise Awareness I:

One Shot - #reality

 

Autorin: Ivy

 

Jacky atmete tief durch, als sie endlich die Wohnung ihrer Tante betrat und den vertrauten Geruch von Koriander und Gewürzen roch. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der 18 Jährigen, die ihre Tasche abstellte. Wie hatte sie das Haus ihrer Tante und dieses vertraute Gefühl, endlich zu Hause zu sein, vermisst. Mit Freude schritt die junge Norton durch den Flur, legte ihre Jacke ab.

„Miriam? Miriam, ich bin zuhause!“ Stille. Ein wenig irritiert blinzelte das Mädchen, ehe sie sich auf die Suche nach ihrer kleinen Schwester begab. Schon seit dem Ausstieg aus dem Flugzeug, welches in Italien gelandet war, freute sie sich, die nunmehr 5 Jährige zu sehen.

„Miriam?“ Ein leises Glucksen ertönte, welchem Jacky ins Wohnzimmer folgte, in dem ihre kleine Schwester auf der Couch saß und mit dem Tablet ihrer Tante herumspielte. Mit leichter Skepsis setzte sich die Ältere daneben.

„Miriam?“ Diese blinzelte, sah auf, quietschte vergnügt und fiel Jacky um den Hals, die sie an sich drückte.

„Ich hab dich gar nicht gehört ….“ lispelte Miriam, das Tablet vor sich auf dem Schoß.

„Das habe ich bemerkt.“ Mit einem Lächeln deutete Jacky auf das technische Gerät. „Hat dir das unsere Tante denn erlaubt, damit zu spielen?“

Die Jüngere nickte. „Tante Maria hat mir sogar so komische A … Dingens runter geladen … Zum Lernen ...“

Jacky nickte ernst. „Du redest von Apps?“

Miriam nickte ganz begeistert, berührte aufgeregt den Bildschirm und zeigte ihrer älteren Schwester, was sie denn gespielt hatte. Mit immer größer werdender Skepsis betrachtete dies die 18 Jährige, ehe sie Miriam das Tablet abnahm.

„Hey ….!“ Diese sah empört drein, doch mit einem Lächeln drückte Jacky die kleinen Hände ihrer Schwester sanft.

„Hör mal, Miri … Ist es nicht viel schöner, die Welt so zu entdecken, wie sie ist?“

Die Jüngere blinzelte. „Aber auf dem Tablet ist das doch viel, viel leichter.“

Jacky nickte. „Aber ist es nicht viel schöner, zu berühren, zu riechen, zu sehen, was wirklich ist?“ Miriam neigte fragend den Kopf, verstand nicht. Jacky zog sie auf die Beine, Richtung Flur. „Komm mal mit ...“ Sie zog sich ihre Jacke wieder an, ihre Schuhe, half der Jüngeren in die Ausgehkleidung und öffnete die Tür.


Schnee fiel, sogar in Venedig und wunderschön sah die Stadt aus. Sie schlossen die Tür hinter sich und Jacky rückte die Mütze Miriams zurecht, zog sie mit. Es war bereits dämmrig und nur wenige Menschen befanden sich in den engen, kleinen Gassen. Es war zwei Tage vor Weihnachten und so sehr gehofft hatte die junge Norton, dass Schnee fiel. Man hatte ihren Wunsch erhört.

Leicht quengelig erklang Miriams Stimme. „Was wollen wir denn hier draußen?“

Jacky lächelte. „Warte es ab ...“

Sie zog sie sanft weiter, über die Wasserstraßen der Stadt, die kleinen geschwungenen Brücken, vorbei an bereits geschlossenen Läden. Richtung Markusplatz trieb es die beiden, der um diese Uhrzeit nur wenig besucht war. Auch die Tauben waren nunmehr fort, in wärmeren Gefilden und gaben den Blick auf Venedig ohne das geflügelte Völkchen frei. Leise rauschte das Meer, Musik spielte in einer der Gaststuben und Gelächter drang an die Ohren der beiden Mädchen. Auf dem großen Platz vor der Kathedrale blieben sie stehen.

„Und jetzt?“ Miriam sah zu ihrer größeren Schwester auf, die die Finger an die Lippen legte, auf den Weihnachtsbaum deutete, der mitten auf dem Platz stand.

„Warte einen Moment ...“


Der Glockenschlag zur vollen Stunde erklang aus dem Turm vor ihnen. Doch kaum war der letzte Schlag getan, erstrahlte jener Weihnachtsbaum in allen Farben, die Lichter blinkten und das Lametta glitzerte. Staunend sah Miriam zu jenem, drückte die Hand ihrer Schwester.

„Das ist supertoll.“ lachte die Fünfjährige und strahlte beinahe so hell wie die Beleuchtung des Baumes. Jacky schmunzelte, hob sie auf ihre Schultern und lange noch verharrten sie, um den Anblick zu genießen, ehe sie durch die verschneiten, nächtlichen Straßen nach Hause zurück kehrten.



Erst spät am Abend, als Miriam schon im Bett lag und Jacky mit einer Tasse Tee in der Küche verharrte, dachte sie an ihre eigene Vergangenheit zurück. Sie erinnerte sich noch gut, wie sie einst ihr erstes Handy geschenkt bekommen hatte, wie die ersten Computer und später Laptops in ihrem Zimmer gelandet waren und mit einem Seufzen, tief und leicht bedauernd, lehnte sie sich zurück. Viele Stunden waren vor den flackernden Bildschirmen umgegangen, viele Streitereien auch aufgekommen, war doch zu viel Zeit in der Online-Welt verloren gegangen. Jacky bereute, ebenso dem Chat-Wahn, den Textnachrichten und kostenlosen Web-Spielen verfallen gewesen zu sein und wünschte sich für Miriam einen stärkeren Willen und die Weitsicht, die ihr gefehlt hatte. Jacky nahm einen Schluck ihres Tees, spülte den bitteren Beigeschmack jener Erinnerungen herunter und konzentrierte sich wieder auf das, was sie wirklich beschäftigte. Sie wollte Miriam nicht den Zugriff auf die Medien verweigern, doch würde sie aufpassen, dass dies nicht überhand nahm. Und sie würde mit ihrer Tante sprechen. Es war gut, wenn sie beide an einem Strang zogen, um Miriam nicht in diese starke Abhängigkeit rutschen zu lassen. Es war wichtig, nicht gänzlich fremd mit der heutigen Technik zu sein, doch wichtiger war, die Welt zu entdecken, wie sie war. Und lieber gab Jacky Geld für einen Wochenendtrip aus, als für einen Computer. Die Nähe und Wärme der Realität würde wesentlich mehr zu Miriams Selbstbewusstsein, ihrer geistigen Entwicklung und ihrer Kontaktfreudigkeit beitragen, als die Entfremdung des World Wide Web. Dafür würde die Norton sogar eine Hand ins Feuer legen ….

Kommentare: 4
  • #4

    Prinzessin Dracula (Montag, 07 Dezember 2015 19:49)

    Hmmm schön.
    Eine coole Idee, diese Raise-Awareness-One-Shots. Bin gespannt, wer da als nächtes zu Wort kommt.
    Ich stell mir das total schön vor, dieser Weihnachtsbaum im verschneiten Venedig, ringsum Wasserstraßen und das Glockengeläut.

    ... aber Tauben sind keine Zugvögel ... *Tierpfleger-Mode off* ;)

  • #3

    Lilly (Montag, 07 Dezember 2015 13:36)

    Wunderschön geschrieben und auch eine richtig schöne Botschaft :) Und so schön rübergebracht *__*
    Jacky hat schon Recht und gerade wie sie so süß mit ihrer Schwester umgeht und ihr ganz spielerisch die Weihnachtswunder zeigt, ist unglaublich schön *__* Wenn ich sowas lese, dann kommt richtig Weihnachtsfreude auf :)
    Danke, liebste Ives, für diesen wunderbaren One Shot :)

  • #2

    Franzi (Sonntag, 06 Dezember 2015 18:10)

    Wie schön die Kombination aus ernsten, aktuellen Themen und der magischen Welt, den zauberhaften Figuren von Aldcrest doch ist.
    Wirklich toll geschrieben. :-)
    Ich wünsche euch einen schönen Nikolaus.

  • #1

    Nature (Sonntag, 06 Dezember 2015 07:33)

    Wow!
    Das ist wirklich wunderschön geschrieben!
    Ich bin total Jackys Meinung!
    Einen fleißigen Nikolaus und einen gemütlichen 2. Advent euch allen!
    GLG Nature