Die Berufung der


M Y R A   B L E X H A M

Autorin: Larissa

Warnung: Das Rating für diesen Text beträgt P18


"Frauen wissen was gut für sie ist. Männer nicht."


~*~



Gelangweilt zupfte Myra ihre halterlosen Strümpfe zurecht und teilte die Karten aus. Es war noch zu früh. Die meisten Freier kamen erst später am Abend, wenn im Schutz der Nacht niemand mitbekam, dass auch die Edelsten unter ihnen ihren Schwanz nicht allzu gerne in der Hose behielten. Primitives Pack!
Myra und einige andere Huren hatten sich um einen Tisch versammelt um sich mit Kartenspielen die Zeit zu vertreiben. Das machten sie oft, wenn wenig los war.
Plötzlich hörten die Mädchen die Türglocke läuten und warfen seufzend die Karten auf den Tisch, es ging los. Schnell schlüpfte Myra in ihre unbequemen High-Heels und zog ihren knallroten Lippenstift nach. Noch während Richard, der Bordellbesitzer, den Gast begrüßte, stellte sich die Achtzehnjährige zu ihren Kolleginnen an den Vorhang und versuchte einen Blick auf den Kunden zu erhaschen. Als sie ihn sah, lächelte sie. Der würde einfach werden. Er war etwas dicklich und sicherlich schon in seinen Vierzigern. 
Gleichzeitig bemerkte sie, wie Ronja neben ihr einen Schmollmund machte, weil er bei Weitem kein schöner Mann war. Doch genau diese Tatsache freute Myra. Es gab ihr Bestätigung, denn neben ihm war sie perfekt. Sie würde die Kontrolle haben und unberührbar sein. 
Dass er sich für sie entschied, war gar keine Frage. Sie bekam immer was sie wollte und was sie wollte war Geld. Den hier würde sie ausnehmen. 
Tänzelnd kamen die Frauen hinter dem Vorhang hervor, drehten sich um sich selbst, präsentierten sich und stellten sich vor. Sie hielten sich zurück und ließen ihn entscheiden, doch Myra dachte gar nicht daran.Verführerisch langsam und mit schwingenden Hüften ging sie auf ihn zu. Sie wusste wie sie aussah und sie wusste es einzusetzen.  Erst als sie nahe genug vorgedrungen war um seinen übelriechenden Atem im Gesicht zu spüren, hielt sie an und lehnte sich vor. Ihre vollen roten Lippen dicht neben seinem Ohr. „Ich bin alles was du je gewollt hast, Baby. Ich kann deine schmutzigsten Fantasien wahr werden lassen.“, schnurrte sie und ließ ihre rechte Hand seinen Körper hinunter gleiten, bis sie schließlich auf seiner schlecht versteckten Beule liegen blieb. „Natürlich nur, wenn du dich traust.“ raunte sie und drückte zu. Er stöhnte und fragte zittrig nach dem Preis.
Myra unterdrückte ein Grinsen, das war beinahe zu einfach gewesen. „Das kommt darauf an, wie lange du kannst, Süßer. 15 Minuten liegen bei 25 und eine Stunde bei 100 Pfund. Schlucken kostet extra, küssen ist nicht drin. Wenn du noch besondere Wünsche hast, werden wir schon einen geeigneten Preis finden. Du kannst natürlich jederzeit kostenpflichtig verlängern.“ , erläuterte sie zwinkernd. Zufrieden bemerkte sie, wie der Freier verlegen wurde. Wortlos drückte er ihr 100 Pfund in die Hand und ließ sich von ihr ins Nebenzimmer führen.
Sie war sich der missbilligenden Blicke in ihrem Rücken durchaus bewusst, doch das war nicht unüblich. Es passierte öfter, dass sie in die Offensive ging und sich so die reichsten Kerle krallte. Eine Stunde wurde selten gewünscht und jede hier konnte das Geld gut gebrauchen, der Neid war also verständlich. Dennoch war es nicht ihre Schuld, dass Männer so leicht zu manipulieren waren. Was konnte sie dafür, wenn  die Anderen sich dies nicht zunutze machten?
Sie wollte jetzt nur den Sex hinter sich bringen und Nachhause zu ihrem Will ins warme Bett steigen. Zu dem einzigen Mann neben dem sie gerne einschlief. Und vermutlich der einzige Mann, der bei ihr noch keine Mordgelüste ausgelöst hatte.
Als sie diesen schwanzgesteuerten Idioten zum Höhepunkt brachte, dachte sie nur daran, wie sehr ihr Geliebter sich über das Geld freuen würde und schon fiel es ihr leichter so zu tun, als könnte dieser Jammerlappen sie auch nur ansatzweise befriedigen.


~*~



Zitternd lief Myra durch die verschneiten Gassen von Aldcrest und zog sich ihre Mütze tiefer ins Gesicht. Keine Menschenseele war bei diesen frostigen Temperaturen noch draußen unterwegs. Auch die Zwanzigjährige konnte es kaum erwarten Zuhause anzukommen. Heute hatte sie kein Geld verdient, doch das war nicht ihre Schuld. Selbst die armseligsten Männer verbrachten Heiligabend zumeist mit der Familie, um den Schein zu wahren. Außerdem verließ niemand bei diesem Wetter freiwillig sein Heim. Mit gesenktem Kopf und den Händen tief in den Taschen vergraben, kämpfte sich Myra gegen den eisigen Wind vorwärts.
Irgendwann hatte auch Richard eingesehen, dass es keinen Sinn mehr machte noch länger auf Freier zu warten und hatte seinen Huren frei gegeben. Will würde sich sicher freuen, dass sie Weihnachten nun doch gemeinsam verbringen würden. Sie wünschte nur, sie müsste nicht mit leeren Händen Zuhause ankommen. 
Ihre Finger fühlten sich bereits taub an, als sie endlich vor der kleinen Hütte stand, die sie ihr Zuhause nannte. Sie holte ihren Schlüssel aus der Jackentasche und steckte ihn ins vereiste Schloss. Beim dritten Versuch gab dieses schließlich nach und die Haustür öffnete sich. 
Leise, um Will nicht zu wecken, falls er schon schlief, trat sie ein und schloss die Türe hinter sich.
Sie zog Schal und Mütze aus und hängte die Jacke an die Garderobe. Ihre Schuhe stellte sie gleich neben die Holzfäller-Axt ihres Mannes hinter die roten Winterstiefel. Stutzig hielt Myra inne. Sie besaß gar keine roten Stiefel. In diesem Moment hörte sie die Geräusche aus dem Schlafzimmer. Geräusche, die sie gut kannte, weil sie sie selbst jeden Abend im Freudenhaus von sich geben musste. 
Das konnte doch nicht... Wie in Trance stolperte Myra zur Schlafzimmertür und riss diese mit einem Ruck auf. Sie sollte Recht behalten. Ihre Augen verengten sich zu tödlichen Schlitzen und sie spürte wie es in ihr zu brodeln begann. „Du da. Raus.“, zischte sie dem auf Will liegenden Mädchen zu und nur jemand ohne Überlebenswillen hätte ihr in diesem Moment widersprochen. Hastig rappelte die Kleine sich auf und suchte ihre Klamotten zusammen. Mit ängstlichem Blick flüchtete sie aus dem Zimmer. Auch Will hatte sich nun aufgesetzt und rang sichtlich nach Worten. 
„Du elender Scheißkerl! Ist dir eigentlich bewusst, wie viel ich für dich undankbares Stück Dreck geopfert habe?! Ich habe meinen verdammten Körper verkauft für dich!“, spie sie ihm entgegen. „Weiß ich doch. Ich.. das ist ganz anders als es aussieht. Komm schon Baby.. ich bin doch auch nur ein Mann.“ Myra sah rot. Er hatte recht. Er war auch nur ein Mann. Ein dummer, egoistischer, triebgesteuerter kleiner Wurm, der ihrer  nicht würdig war. Sie konnte nicht glauben, dass sie so blind gewesenen war. Das sie sich von so jemandem hatte einwickeln lassen. Etwas in ihr starb in diesem Moment.
Will, der ihr Schweigen vollkommen missdeutete, kam nackt auf sie zu und wollte sie in den Arm nehmen. „Pscht Baby, nicht weinen“, schmeichelte er, doch der Blick, den seine Ehefrau ihm zuwarf, ließ ihn verstummen. „Verschwinde. Und lass dich nie wieder hier blicken!“, sagte sie beherrscht und ging voraus zur Tür. Hastig wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Er war es nicht wert, dass sie für ihn weinte. Er war rein gar nichts wert. Geschockt lief Will ihr hinterher und versuchte sie aufzuhalten „Aber.. das meinst du nicht ernst. Es tut mir leid okay? Schau mich doch an, so kann ich mich unmöglich sehen lassen. Du liebst mich! Du willst mich nicht rauswerfen, denk nur an die Schande, die das über dich bringen würde.“ Er legte einen Arm auf ihre Schulter und kam ganz nah an ihr Gesicht „Gib mir noch eine Chance, ich liebe dich“, wisperte er, griff nach ihrem Handgelenk und beugte sich vor um sie zu küssen. 
Angewidert stieß Myra ihn von sich. Was bildete dieser armselige Verräter sich eigentlich ein?! Da wurde ihr klar, dass er, vermutlich zum ersten Mal in seinem jämmerlichen Leben, Recht hatte. Sie wollte ihn tatsächlich nicht rauswerfen. Sie wollte etwas ganz anderes tun. Angriffslustig leckte sie sich über die Lippen und griff nach der Axt zu ihrer Rechten. Er hätte einfach gehen sollen. Sie ging einige Schritte auf ihn zu und genoss die ängstliche Verwirrung in seinen Augen. Mit einem wilden Lächeln hob sie die Axt und versenkte diese mit aller Kraft im Fleisch ihres Peinigers. Er ging zu Boden und verächtlich sah sie auf ihn hinab, der Schmerz in seinem Schrei war unbezahlbar. Sie zog die Axt genüsslich wieder aus seinem Körper und beobachtete fasziniert, wie mehr und mehr Blut aus der Wunde floss. Will brachte nur noch undefinierbare Laute über die Lippen und sein Wimmern wurde immer verzweifelter. Niemand betrog Myra Blexham. Mit diabolischem Grinsen schlug sie noch einmal zu. Und noch einmal. Bis ihr unglücklicher Ehemann bis zu Unkenntlichkeit verstümmelt war. Erst dann trat sie einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk. Sie fühlte sich gut. Erleichtert. Will würde nie wieder jemandem untreu sein, in dem Glauben, dass dies sein Vorrecht als Mann sei. 
Mit Genugtuung sah sie auf den blutigen Haufen Fleisch vor sich. Genau das verdiente jedes untreue Schwein auf der Welt und genau das würde jedes untreue Schwein in Aldcrest von nun an bekommen.



~*~



Myra war eine Frau der Tat. Da sie sich nun ihrer Lebensaufgabe bewusst geworden war, begann sie sogleich mit der Arbeit. Schon am nächsten Tag ließ sie Richard verschwinden und ernannte sich selbst zur Puffmutter. Niemand stellte Fragen, niemand beschwerte sich. Der ehemalige Bordellbesitzer war vermutlich der Einzige, der noch unbeliebter war, als sie selbst. Außerdem wagte es niemand sich mit Myra anzulegen. Frauen schienen, im Gegensatz zu Männern, zu wissen, was gut für sie war. Sie würde ein paar neue Regeln aufstellen müssen.


~*~



Sie saß an einem Holztisch in ihrem Arbeitsraum und schaute auf die Liste ihrer bisherigen Opfer. Faszinierend, wie viele Blaublütige sich unter den untreuen Freiern befanden. Die Scheinheiligsten waren doch immer die Schlimmsten. Auch ihr Vater war angeblich tiefgläubiger Katholik gewesen, doch das hatte ihn nicht davon abgehalten seiner eigenen Tochter die Jungfräulichkeit zu nehmen. Männer sind Tiere.
Claire, eine ihrer Huren, betrat den Raum und begann schüchtern zu reden: „Lady Blexham, der Lustmolch, der mich eben buchte, trägt einen Ehering und hat eine Tochter, wie ich ihm im Rausch entlocken konnte. Ich versprach ihm, wie abgesprochen, eine dreißigminütige Verlängerung auf Kosten des Hauses. Er wartet in Zimmer neun auf sie.“ 
Die Bordellbesitzerin erhob sich und nickte ihr zu: „Vielen Dank, Claire. Du kannst nun gehen, das Bordell schließt gleich.“ Die Hure nickte und verschwand aus der Tür. 
Myra wartete noch bis sie hörte, dass sie das Freudenhaus verlassen hatte und griff dann grinsend  nach ihrer Axt. Sieht so aus, als müsse da jemand bestraft werden.



~*~



Es war Heiligabend. Fünf Jahre waren vergangen seit diesem inspirierenden Abend 1853. Schon viele Kerle hatten ihre gerechte Bestrafung erhalten. Niemand verdächtigte Myra und wer es doch tat behielt es für sich. Ihre Huren ahnten sicher, dass etwas nicht stimmte, aber sie würden es nicht wagen ihr in den Rücken zu fallen. Das Bordell war noch nie so gut gelaufen, wie unter ihrer Führung, denn Lady Blexham verstand es die männliche Kundschaft anzulocken. Ihre Angestellten verdienten mehr als übliche Dirnen, viel mehr. Dafür wurden keine Fragen gestellt, wenn ein Stammkunde plötzlich nicht mehr auftauchte. 
Mit hochhackigen Stiefeln lief sie im Schein der Laternen über den Asphalt. Es war ein warmer Winter dieses Jahr. Nicht einmal Schnee bedeckte die Straßen. Die Frauen, die ihr entgegen kamen, musterten sie verächtlich von der Seite. In ihren flachen Schuhen und ihren einschränkenden Moralvorstellungen, taten sie Myra fast leid. Wussten sie doch nicht, dass viele ihrer Ehemänner bei ihr Stammkunde waren. Und dass sie, Myra Blexham, sie alle befreien würde. 
Sie beschleunigte ihre Schritte, als sie vor sich ihr Zielobjekt wahrnahm. Graumelierte Haare, ca. 1,80m groß, Ehering am Finger. Das musste er sein. Er lehnte an einer Hauswand und rauchte unschuldig die letzte Zigarette seines Lebens.
Lächelnd ging sie auf ihn zu und öffnete die obersten Knöpfe ihrer Jacke. Darunter trug sie lediglich Dessous. „Komm mit“, hauchte sie verführerisch und stellte sicher, dass er einen kurzen Einblick in ihren Ausschnitt bekam. Ihre Absichten schienen eindeutig. Unschlüssig sah er sie an, ließ sich aber ohne viel Widerstand von ihr in eine Seitengasse ziehen. Nicht ohne dass er sich vorher umgesehen hätte, ob ihn jemand mit ihr gesehen haben könnte. Er hatte schließlich einen Ruf zu verlieren. 
Doch kaum waren sie im Schutz der Gasse war alle Vorsicht vergessen. Der Edelmann mutierte zum Tier. Er drückte sie gegen die Wand und schob eine Hand unter ihre Jacke. „Na los du Nutte, dann zeig mal, was du zu bieten hast“, knurrte er und wollte sie küssen. Doch soweit ließ Myra es gar nicht erst kommen. Stattdessen zeigte sie ihm wie gewünscht, was sie zu bieten hatte, indem sie ein Messer aus einer Jackentasche zog und es ihm mit voller Wucht zwischen die Schulterblätter rammte.
Der Mann brach zusammen. Stöhnend vor Schmerz sah er zu ihr hoch „Wa...Wieso?“, stieß er hervor und Myra ging vor ihm in die Hocke. „Weil du ein betrügerischer Schweinehund bist“, offenbarte sie ihm beinahe mitfühlend und beendet ihre Tat indem sie ihm die Kehle durchschnitt. Sie bedauerte es, ihre Axt nicht benutzen zu können, doch manchmal ging es nicht anders. Mit einer Axt durch die Gegend zu streifen wäre viel zu auffällig und nur im Puff zu morden wäre auf Dauer verdächtig. Doch letztendlich war die Waffe unwichtig, solange sie ihren Zweck erfüllte. Mit jedem Mann, den sie tötete fühlte sie sich befreiter. Sie machte diese Welt zu einem besseren Ort.
Sie verfrachtete die Leiche in einen Beutel aus Leinen und wartete auf die Nacht um diesen unbemerkt nach Hause zu transportieren. Sie freute sich schon darauf diesen Leichnam gebührend zu zerstückeln.
Ohne Leiche konnte kein Mord nachgewiesen werden, außerdem verdienten diese Männer keine anständige Beisetzung. Ihr hauseigener Gemüsegarten würde als Begräbnisstätte wohl reichen.



~*~



Tief sah Myra ihrem Opfer in die bereits toten Augen. Schade, dass dieser hier so ein Schwächling war, sie hätte ihn gern noch etwas länger leiden lassen. Nun gut. Sie schwang die Axt über ihren Kopf und ließ sie hinabsausen. Als sich der hässliche Kopf mit einem schmatzenden Geräusch vom Rest des Körpers trennte, war sowieso jede Enttäuschung vergessen und Triumph erfüllte sie. Noch ein Drecksschwein weniger auf dieser Welt.  Und während sie noch mit stolzer Brust die Überreste dieses Lustmolches bewunderte, hörte sie plötzlich Schritte. 
Jemand stieß die Türe auf und Myra fuhr panisch herum. Vor der Türe standen bestimmt ein Dutzend Männer, angeführt von Aldcrest' Ortsvorsteher James Corthwale. „Du mörderische Schlange!“, schrien die Kerle durcheinander, „hängen wirst du!“ Noch bevor sie begriff was los war, stürzten sich diese primitiven Affen auch schon auf sie.
Myra reagierte blitzschnell. Immer noch die Axt in der Hand schlug sie wild um sich und lachte jedes mal laut auf, wenn ihre Waffe auf Widerstand stieß. 
Doch lange hielt sie nicht durch. Plötzlich spürte sie, wie sich einer der Männer von hinten auf sie warf und zu Boden drückte. Sie schrie und versuchte sich freizukämpfen, doch war sie körperlich weit unterlegen. Ihre Axt fiel ihr aus der Hand und die Männer traten sie aus ihrer Reichweite. 
Fünf von ihnen näherten sich und halfen dem Mistkerl, der sie niedergerungen hatte, sie zu fesseln.
„Haben wir dich endlich“, sagte der Ortsvorsteher außer Atem und ging in die Hocke. Von oben sah er auf sie herab. Er holte Luft als wollte er noch etwas sagen, doch stattdessen spuckte er der am Boden liegenden Frau ins Gesicht. Sie fauchte und bleckte die Zähne, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Noch nie in ihrem Leben war sie so gedemütigt worden. Sie hatte versagt.

Die entlarvte Mörderin hielt ihren Rücken gerade und hatte ihr Kinn stolz in die Luft gereckt, als sie, flankiert von vier Wachmännern, auf den Dorfplatz geführt wurde. Sie würde mit Würde sterben. Schließlich hatte sie nichts Unrechtes getan. Die Meute, die sie dort erwartete, sah das anders. Wütende Gesichter sahen ihr entgegen. Trauernde Witwen und weinende Kinder, die ihre Väter verloren hatten, zeigten anklagend mit dem Finger auf sie. Sie ahnten nicht, dass Myra ihnen einen Gefallen getan hatte. Menschen sind so undankbar, ärgerte sich die Verurteilte. 
„Du elende Drecksschlampe!“, hörte sie aus der Menge. Eine verheulte kleine Frau kämpfte sich durch die Masse um ihr eine schallende Ohrfeige zu geben: „Das war für meinen Ehemann, du Hexe.“ Die Wachmänner rührten keinen Finger um sie zur Ordnung zu rufen. Doch was sollte man auch erwarten. Es waren schließlich Männer. 
Ganz vorne sah sie ihre ehemalige Hure Claire. Mit einem Siegeslächeln auf den Lippen. Myra wurde kalt ums Herz und sie kniff die Augen zusammen. Diese kleine Göre musste sie verraten haben. Hatte ihr ganzes Geschlecht verraten. „Viel Vergnügen in der Hölle, Lady Blexham.“, flüsterte die Dirne schadenfroh, als Besagte fast angekommen war. Myra schenkte ihr lediglich einen mitleidigen Blick und erwiderte: „Vielen Dank, Claire. Ich erwarte dich dann dort. Für Verräter ist in der Hölle schließlich immer ein Plätzchen frei.“ Mit Genugtuung sah sie, wie dem Mädchen die Farbe aus dem Gesicht wich. 
Auch als der Henker der gefesselten Frau die Schlinge um den Hals legte, blieb diese beherrscht. Sie würde ihre Rache bekommen und früher oder später würde sie wiederkehren und ihr Werk vollenden. Diese Gewissheit erwärmte ihr Inneres. 
Der Ortsvorsteher verlas die Anklageschrift. Mord in geschätzt 30 Fällen, 14 davon nachgewiesen. Ausschließlich Aristokraten. Myra grinste in sich hinein. Wenn die nur wüssten, wie hoch die Zahl ihrer Opfer tatsächlich war. Dieses Geheimnis würde wohl mit ihr sterben. Für die bürgerlichen Leichen war einfach kein Platz mehr im Garten gewesen. Und irgendjemand musste die armen Wölfe im Wald ja füttern.
„Somit verurteile ich die hier Anwesende Myra Blexham zum Tode durch den Strang.“ Die laute Stimme von James Corthwale riss sie aus ihren Gedanken, „Noch irgendwelche letzten Worte?“
Myra lächelte und sah dabei beinahe liebenswürdig aus. Beinahe. „Ich komme wieder.“, verkündete sie augenzwinkernd. Als der Boden unter ihren Füßen nachgab, lachte sie.


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