One Shot- Das Gesetz des Meeres

 

Autorin: Franzi

 

~*~

„Es gibt Tage, die geraten selten in Vergessenheit, mögen sie auch noch so viele Jahre zurückliegen. So verhält es sich auch mit dem 23. Dezember 1948. 

Kaum einer von euch Grünschnäbeln mag davon wissen, doch ich kenne die Geschichte, als sei es meine eigene. Festgebrannt in meinem Kopf, gibt es kaum einen Tag, an dem ich nicht an die furchtbaren Ereignisse des Vorweihnachtstages zurück denke.

Es kommt mir vor, als sei es gestern gewesen!“, erklärte ich dem Mädchen, das neben mir auf einem der alten Samtsessel saß. Eine meiner unzähligen Katzen, Luna, strich ihr um die Beine und ließ sich schnurrend vor ihren Füßen nieder.

„Weißt du, seit ich mich von all meinen Liebhabern getrennt habe und ich mich nur noch um die Katzen kümmern muss, habe ich Zeit. Zeit, um über die Legenden und Geschichte meines Internataufenthaltes nachzudenken. Ach, welchen Spaß hatten wir. Von der Nachkriegszeit, geschweige denn dem Krieg selbst, bekam kaum einer was mit. Wir fühlten uns sicher. Und unsterblich…“

 

Das Mädchen räusperte sich. „Aber wie war das denn nun mit dem dreiundzwanzigsten?“

„Immer mit der Ruhe, Rotschopf!“ Ich konnte es nicht leiden, wenn mich jemand unterbrach. „Lass eine alte Frau wie mich doch einmal erzählen!“ Die Schülerin von Aldcrest schien sich sichtbar unwohl zu fühlen, zupfte an ihrem geblümten Rock, der für meinen Geschmack viel zu bunt gemustert war. „Was sagst du? Du brauchst Informationen für ein Schulprojekt?“ Sie nickte. Nun kam auch Mona zu der Fremden, ließ sich in Nähe des warmen Feuers nieder.

 

„Also, wie gesagt, der 23. Dezember war ein stürmischer Tag und inzwischen bin ich mir sicher, dass alles so kam, wie es kommen sollte!“

„Sie meinen, es handelte sich um so eine Art Schicksal?“, fragte die Schülerin skeptisch.

„Unterbrich mich nicht!“, fauchte ich sie an. Das Zusammenleben mit 59 Katzen machte sich langsam doch bemerkbar. Ich hatte mir einige ihrer Eigenarten angewöhnt.

„Wenn du die ganze Geschichte wissen willst, lass mich gefälligst ausreden!“

Ein stummes Nicken.

„Wo war ich stehen geblieben? Achso, genau. Schicksal. Als Amelia und Samuel sich kennenlernten, schien ihre Liebe alles andere als vorherbestimmt. Ganz im Gegenteil, die Beiden hassten sich auf den Tod. Bis ein paar Freundinnen und ich uns einen Streich erlaubten. Nur einer von wenigen übrigens. Wir sperrten die Zwei in eine Abstellkammer und ließen sie die ganze Nacht darin schmoren. Das war damals der 22. Anfangs hörten wir noch, wie sie unentwegt stritten, beiden konnten ziemlich anstrengend sein. Weißt du, Samuel war einer von den ganz Bösen. Gutaussehend, charmant und hinterhältig. Und Amelia? Ja, sie sah ein bisschen aus wie du. Auch so zierlich, mit heller Haut und roten Haaren. Nur ihre Kleidung war wohl etwas gesitteter.“

 

Das Mädchen zog scharf die Luft ein. „Was stimmt denn bitte mit meinen Klamotten nicht?“

Ich warf ihr nur einen mitleidigen Blick zu. „ Auf jeden Fall kam sie mit Sams überheblicher Art nicht zurecht. Bis zu dem Abend. Denn am nächsten Tag war alles anders. Es war eine Kunst, die Verliebten wieder aus der Kammer zu bekommen. Das Traurige an der ganzen Sache war nur, dass der Tag vor Weihnachten auch der Tag der Heimreise war. Das Internat schloss über die Feiertage. Ist das heute auch noch so?“

Sie schüttelte den Kopf. 

 

„Ich bekomme auch nichts mehr mit. Manche Bewohner halten mich sogar für tot. Ist denn das zu glauben? Aber, was wollte ich denn gerade sagen? Moment… Manchmal passiert mir das. Ich vergesse einfach, was ich sagen möchte. Kommt wohl vom Alleine sein. Obwohl, ich habe ja meine Schnuckelkätzchen. Ah, ich war bei der Abreise. Tja, Amelia und Samuel gefiel es gar nicht, dass sie sich, nachdem sie endlich zueinander gefunden hatten, gleich schon wieder voneinander trennen sollten. Deshalb sollte ich sie decken, damit sie noch einige Stunden gemeinsam verbringen konnten. Als gute Freundin tat ich dies natürlich. Ach Mädchen, der schlimmste Fehler meines Lebens, das kann ich dir sagen. Amelia und Sam machten sich also auf und folgten dem kleinen Pfad, runter zum Meer. Ich kann dir nicht genau sagen, was in der Zwischenzeit passiert ist, doch scheinbar hielt ihr Glück nicht lange an und sie stritten. Bestimmt irgendetwas banales, doch die Sache artete aus…

Es gibt ein unausgesprochenes Gesetz, bezüglich des Meeres. Kennst du es?“

 

Wieder schüttelte das Mädchen den Kopf.

Wie konnte man nur so unwissend sein? „Na gut, dann will ich es dir erklären. Hier im Dorf und auch in der Umgebung gibt es einiges an Magie. Das sollte dir inzwischen ja wohl klar sein! Die Natur duldet diese auch, in einem gewissen Maß und solange diese Magie nicht in Berührung mit dem Meerwasser kommt.“

„Was soll das heißen?“, fragte die Aldcrest Schülerin etwas verwirrt.

„Ganz einfach, wer am Strand, in der Nähe des Wassers Gebrauch von Magie macht, dem wird großer Schaden zugefügt!“

Ihre Augen weiteten sich. „Und das ist Samuel und Amelia passiert?“

 

Ich nickte. „Ich kann nur mutmaßen, was damals am Strand passierte. Doch Samuel war ein sehr mächtiger junger Mann, der die Fähigkeit besaß, Wasser zu kontrollieren.  Scheinbar wandte Amelia sich von Samuel ab, wollte ohne ihn zurückgehen. Das hat ihn wohl sehr wütend gemacht, Sam konnte ziemlich schnell wütend werden. Er wollte seine Wut am Wasser auslassen, dieses vielleicht sogar gegen Amelia richten. Damit verstieß er gegen die Gesetze in Aldcrest. Und das Meer schlug zurück!“ Das laute Miauen einer meiner Katzen ließ mich innehalten. Ich hievte mich aus den Tiefen des Sessels und stütze mich auf meinen Gehstock. Meine Lieblinge hatten Hunger.

Während ich die Tiere fütterte, ließ das Mädchen mich nicht aus den Augen.

„Was geschah dann?“, fragte sie ungeduldig.

„Kannst du dir das nicht denken?“, keifte ich.

„Sind sie…“

„Ja, die beiden sind gestorben! Von den Wellen des Meeres mitgerissen und im kalten Salzwasser ertrunken. Und ich bin schuld!“

 

Hah! Da sagte sie nichts mehr. Unauffällig, fuhr ich mir über die alten, halb blinden Augen. Ich schluckte die Tränen herunter und sprach weiter.

„Aber das war noch nicht alles. Im ganzen Dorf war ein extrem lautes Donnern zu hören, als seien Überreste des Krieges explodiert. Das Schloss erschütterte, blieb jedoch standhaft. Von den beiden keine Spur. Wie vom Erdboden verschluckt. Und auch am Strand war nichts mehr zu sehen, alles wie immer. Das Einzige, was blieb, war die Erinnerung an Amelia Hawkins und Samuel Pommeroy. Und sogar die gerät langsam in Vergessenheit. Nur das Gesetz, das gilt noch heute.“

Kommentare: 2
  • #2

    Lara (Mittwoch, 23 Dezember 2015 21:36)

    Ich kann Lilly mal wieder nur zustimmen.
    Das ist wieder so gut geworden und besonders so EPISCH geschrieben, dass ich kurz davor war, mir ein paar leuchtende Warnschilder für die Aldcrest Schüler zu basteln, auf denen fett drauf steht, dass sie bitte keine Magie am Strand anwenden sollen.
    Wundervoll geschrieben und ich überlege ernsthaft, der Katzenlady zu Weihnachten ein bisschen Katzenfutter zukommen zu lassen...

  • #1

    Lilly (Mittwoch, 23 Dezember 2015 19:10)

    Ich finde, dieser One Shot geht richtig unter die Haut. Die Geschichte von Amelia und Sam, dem tragischen Liebespaar gegen alle Wahrscheinlichkeiten, die Freundin, die Amelia deckt und die noch Jahre später die Schuld mit sich herumträgt und das Gesetz, so simpel und alt wie das Meer selbst, dass man es als Neuling gar nicht kennt. Auch die Erklärung, die Gillian für das Gesetz bietet, ist logisch, eindrucksvoll und die Art, wie sie die Geschichte erzählt, ist so schön und gleichzeitig so traurig. Diese kleine Geschichte hat mich sehr berührt und ich kann nur immer wieder bewundern, wie du mit den Worten (und meinen armen Gefühlen v.v) spielst, liebe Franzi. Eine verrückte Katzenlady, die im Dorf oftmals belächelt wird, erhält auf einmal Tiefe, Charakter und eine Geschichte, die ich gerne gelesen habe. :)