Das Manifest des


B R U D E R   J O H A N N   S T E I N F E L S

Autorin: Siri

 

Zwei Männer standen vor dem Spiegel und sahen sich an. Der eine hatte schütteres, graues Haar, das ihm in wirren Strähnen ins Gesicht fiel. Er erweckte den Eindruck eines verwirrten Professors, den die Frage nach einer zweiten Tasse Tee bereits überfordert. Seine Augen blickten mild in die Gegend, das linke etwas mehr nach links und das rechte etwas mehr nach rechts. Der zweite hatte kein Haar und keine Augen, keine Haut und keinen Blick. Er hatte einen schwarzen Ledermantel, der bis zum Boden reichte, schwarze, glatte Handschuhe und eine Pestmaske. Ein langer Schnabel stach nach vorne in die Luft und berührte fast die glänzende Oberfläche des Spiegels. Dieser Mann wurde mehrmals hin und her gespiegelt, denn die getönten Gläser seiner Maske, zwei runde, matte Kreise, erwiderten den Blick des Spiegels.
Der erste Mann hob die Hand und nahm die Maske ab. Er schielte sich im Spiegel an. Dann setzte er die Maske wieder auf und betrachtete sich in mehrfacher Form. Physikalisch war es nur ein Mann der vor dem Spiegel stand. Geistig wurde Wahnsinn in mehreren Klonen personifiziert.

 

Mein Name ist Johann Steinfels und ich erkenne an, dass ich zu Höherem bestimmt bin. Auserwählt und gesegnet mit außergewöhnlichen Fähigkeiten bin ich bereit Großes zu erlangen. Dennoch, die Welt ist profan und meine Mission daher eine schwierige. Ich besitze nur diesen schwächlichen einen Körper, der wie alle anderen an die Gesetze der Welt gebunden ist und für andere Menschen als normal hingenommen wird.
Doch ich habe einen Ausweg gefunden. Mag mein Leib auch der eines durchschnittlichen Homo Sapiens sein, mit zwei Beingliedern, zwei Armen, einem Haupt und einem Rumpf, so ist er doch mehr. Denn ich wohne zweimal in ihm. Zwei Geister werden in diesem schwachen Fleisch beherbergt. Sie nähren und sie stählen ihn, denn er ist ihr Instrument Hohes zu vollführen.
Ich bin bereit meine Aufgabe zu erfüllen. Ich bin bereit Hohes zu tun. Dafür muss ich zweimal existieren. Simultan.

Ich bin Johann Steinfels und ich wandle nie allein auf dieser Welt.

 

Manchmal sehe ich aus wie ein zerstreuter Apotheker. Meine Haare wachsen wirr und buschig um meinen Kopf herum. Und dennoch ist auf der Mitte meines Hauptes eine kahle Stelle. Ich benötige eine Brille, um die Welt gut sehen zu können. Mein Geist ist kompromittiert durch den schalen Anblick der materiellen Visionen, doch er erträgt es, denn er weiß es ist wichtig die optische Wirklichkeit erfassen zu können. Ich bin tatsächlich Apotheker und ich muss sehen können. Präzision, Ruhe und Geschwindigkeit sind Teil der Visualität und ich beherrsche sie. Meine Patienten sind zufrieden, doch es schmerzt mich, dass meine Behandlungen ihnen helfen weiter zu leben.

 

 

Manchmal sehe ich aus wie eine Schreckensgestalt aus einem Kinderbuch. Meine Haare sieht man nicht, ebensowenig meine Augen. Doch ich sehe die Welt klar und deutlich und ich kann Hohes erringen. Denn hier bin ich der Weltenwandler, der Geist der Besserung und das Werkzeug gegen Profanität, Materialismus und Verfall. Ich bin schwarz und ich glänze. Mein weiter Ledermantel ist durch Pech gegerbt worden und in Öl eingelassen. Mein Haupt ist unter einer Kappe verborgen, eine Pestmaske mit langem Silberschnabel maskiert meine Züge. Ihre runden Gläser sind meinen Augen zugetan, denn sie schärfen meine Sicht. Präzision, Ruhe und Geschwindigkeit sind mein Markenzeichen. Niemand überlebt mich.

 

 

Zu Tage bin ich Apotheker und bereite Tinkturen und verschreibe Behandlungen. Zu Nacht bin ich die Nemesis derer, die mich nur im Lichte sahen. Ich muss im Dunklen walten, denn nur so kann ich den Menschen das Licht zeigen. Sie sterben. Ich vollführe Hohes.

Ich wandle zweimal durch die Welt. Ich sehe. Ich handle. In Maske ich wandle.

 

 

Der Tod besuchte mich nur einmal. Er blieb nicht lange.

Mein Grab war auf dem Schindacker. Dorthin brachte mich die wütende Meute. Doch sie brachten auch meine Maske und warfen sie zu mir in die Grube. Zwei wurden begraben und zwei erstanden auf. Dieser Körper wurde zweimal in der Spiritualität geweiht. Ich bin kompetenter als Jesus und ich handle effektiver. Ich muss Hohes vollführen.

Ich bin erneut in einem Körper und kontrolliere schwaches Fleisch. Meine Geister handeln und ich kann auf der Erde wandeln.

Ich bin Johann Steinfels. Und ich bin hier, um Hohes zu vollführen.

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