Aévyn Tialis

 

Part 1

 

 

Mit dem Rücken zur Wand und die Arme hinter jenem verschränkt stand Aévyn auf dem Gang vor dem Physikklassenraum und wartete. Ihr Herz raste leicht, doch fühlte sie sich in der Lage, jenes Gespräch zu führen, welches ihr vor Augen schwebte. Nervös war sie, doch wollte sie endlich einige Ungewissheiten klären. Einige Schüler zogen an ihr vorbei, doch die 17-Jährige behielt die Tür vor ihren Augen im Blick, die sich endlich öffnete. Suchend blickte sie auf die Jungen und Mädchen, die hinausströmten, lächelte, als endlich jener Rotschopf heraus kam, auf den sie gewartet hatte.

„Evelyn?“ Zögerlich trat die Tialis auf die Angesprochene zu, die grinste.

„Aévy, mein Herzblatt. Was gibt’s?“ Sie grinste breit, während Efinia, eine Mitschülerin aus dem Jahrgangsstufe und Ben neben ihr stehen blieben, zwischen den beiden hin und her sahen. Erstere rollte mit den Augen, denn seit dem Mädchenabend, an dem das Flaschenspiel des Schicksal entschieden hatte, das Evelyn ihre Mitschülerin küsste, gab diese der Tialis mehr Spitznamen als die meisten für gut befanden.

„Ich … ich wollte dich fragen, ob wir … ob ich mal mit dir reden kann?“

„Oho .. Na sicher doch.“ Evelyn löste sich von Efinia. „Wir kommen dann später nach, ja?“

Ben nickte nur, schenkte Aévyn ein Lächeln und zog die gemeinsame Freundin weiter, während Evelyn sich bei ihr einhakte, ihr folgte.

„Um was geht’ s denn?“ Unbeschwert ging die Green auf ihre Bitte ein, während die Tialis noch zögerte.

„Um … um den Kuss … „

„Oh. War er so schlecht?“ grinste die Rothaarige.

„N-Nein! Das wollte ich nicht sagen. Ich ...“

„Och Aévy. Das muss dir echt nicht peinlich sein. Das war doch nur die Aufgabe beim Flaschendrehen.“

„ … nur … eine Aufgabe?“ Aévyn blieb stehen.

„Na, sicher. Da mache dir mal keinen Kopf drum. Echt nicht. Die Mädels werden´s auch nicht weiter erzählen, wenn dir das so unangenehm ist.“

Aévyn schluckte, öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Das war es nicht, was sie beschäftigte, doch fühlte sie sich gehemmt, die Wahrheit zu sagen. Stattdessen zwang sie sich zu einem Lächeln. „ … oh. Okay.“

Evelyn klopfte ihr auf die Schulter. „Gehen wir in die Mensa? Ich hab echt Kohldampf. Und vielleicht kann man den Eintopf der Schwestern ja heute mal essen.“

Aévyn schüttelte den Kopf. „Ich muss noch … kurz zum Musikraum. Ich habe … da was vergessen ...“ Damit löste sie sich von der Green.

„Oh. Alles klar. Dann sehen wir uns nachher, ja?“

Aévyn nickte, wandte sich ab. Innerlich spürte sie, wie ihr warmes Gefühl, das Kribbeln in ihrem Bauch zu einem kalten Stechen wurde.

 

****

 

Aévyn schrie, schrie, wie sie noch nie zuvor geschrien hatte Und als sie fertig war, raste ihr Herz und ihr Gesicht war gerötet. Leicht klopfte ihr Ben auf die Schulter, lächelte warm. „Besser

Die Tialis schluckte, ihre Kehle brannte. „Ja. Viel besser. Danke.“

Die 17-Jährige ließ sich an Ort und Stelle nieder, fuhr sich über die Augen, atmete tief durch. Sie befanden sich bei an der rauen Küste von Aldcrest, an der der kalte, beißende Wind über sie fuhr, die raue See über die glatten Steine des Strandes leckten. Aévyn fühlte sich befreit, sah zu Ben, als er neben ihr Platz nahm.

„Ich bin hier öfter her gekommen.“ murmelte der Brünette, schenkte ihr ein kurzes Lächeln. „Als meine Mom mit mir nach Aldcrest gezogen ist und meine Schwester mit meinem Vater in London blieb, da ist das alles echt viel gewesen. Ich war wütend und enttäuscht und ich stand dann hier, wie wir beide jetzt und habe einfach geschrien. Bis ich keine Luft mehr bekommen habe. Es hat nichts geändert ...“ gab er zu. „ … aber ich habe mich danach besser gefühlt.“

Aévyn lächelte. „Das ist doch gut“ Ihr Blick glitt zum Meer, welches unruhig tanzte an diesem späten Nachmittag. „Ich … Es ist schön hier.“

„Ja. Ist es.“ Ben fuhr sich durch das Haar, musterte die Schwarzhaarige. „Möchtest du … reden?“

Aévyn machte eine unruhige Handbewegung. „Ich … ich wüsste nicht worüber …“ Ihre Stimme versagte, ihr Lächeln schwand.

„Du musst nicht. Wirklich nicht.“ Der Brünette blieb ruhig, freundlich.

„Ich hatte …“ Die Tialis suchte nach Worten. „Ich habe mich in jemanden verliebt und dachte… dass derjenige eventuell auch … mich mag.“

„ … und es war nicht so …“ Mitfühlend strich Ben dem Mädchen über den Rücken, dass sich leicht an ihn lehnte.

„Nein, war es nicht.“ Sie schluckte erneut, zwang sich zu einem Lächeln. „Aber was soll´s …“

„Das tut mir Leid. Wirklich.“

„Muss es nicht. Ist ja nicht deine Schuld ...“ Aévyn zog die Knie an, starrte auf das Wasser vor ihnen.

„Wer … wer ist es?“ Zögerlich stellte er diese Frage, mit einem ruhigen, jedoch höflich distanzierten Unterton in der Stimme.

„Evelyn“, antwortete das Mädchen ruhig. „Ich mag ihre witzige, leicht rebellische Art und …“

„Evelyn?“ Der Darrenforth blinzelte, sah sie unsicher an. „ … du … du magst sie?“

Aévyn nickte, bemerkte seinen seltsamen Blick. „Du bist überrascht.“

Ben nickte. „Ich hatte an … diesen einen Jungen aus deiner Stufe gedacht.“ Ein wenig peinlich berührt fuhr er sich durch das Haar.

Die Tialis lachte. „Terry ist nett und er hat mir sehr oft in Mathe geholfen. Aber …“ Sie sah auf ihre Nägel, wurde wieder ernst. „Aber an Jungen habe ich kein Interesse.“

Eine ganze Weile folgte Stille, während das Krächzen der Möwen über ihnen zunahm.

„Das… das wusste ich nicht.“ Der Darrenforth wurde rot. Wieder fanden seine Finger die braunen Haare.

„Woher auch?“ Aévyn lächelte. „ … oder findest du das … abstoßend?“

Empört sah er sie an. „Was? Nein! Nein, absolut nicht! Du bist toll Aévyn. Und ich mag deine Musik sehr. Und es ist mir egal, ob du Jungen oder Mädchen magst, weil … weil du eine wirklich gute Freundin bist.“

Sie errötete. „Danke Ben. Wirklich.“ Aévyn beugte sich vor, gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich habe dich echt lieb.“

Wieder errötete er, sah zur Seite. „Danke. Ich … ich mag dich auch. Als gute Freundin, meine ich.“

Aévyn lachte erneut auf. „Weiß ich doch, Ben. Weiß ich doch.“ Wieder verfiel sie in Schweigen. „Ben?“

„Hm?“

„Würdest du gern mit mir ausgehen? Als … als Freunde?“

Ben blinzelte, leicht perplex. Dann verstand er. „Gern. Wirklich. Ich würde mich echt freuen.“

„Samstag? Würde dir das passen?“

„Ja. Sicher. Ich hole dich ab. So gegen … 17:00 Uhr?“

„Das klingt super.“ Aévyn strahlte. „Ben?“

„Ja?“

„Deine Schwester kann sich wirklich glücklich schätzen einen Bruder wie dich zu haben. Und ich bin der festen Überzeugung, dass du bald wieder mit ihr zusammen sein kannst..“

Ben lächelte, traurig und erfreut zugleich. „Danke. Das tut gut, zu hören.“

 

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Kommentare: 6
  • #6

    Larissa (Montag, 05 Dezember 2016 15:46)

    Oh wow, Ivy, das ist echt schön geschrieben. Aévyn ist super sympathisch und so süß♡ Wieso beißt Evelyn denn nicht an? Sie kann so blind sein, wenn es um Liebe geht (man siehe Ace...). Aévyns Reaktion kann man sehr gut nachvollziehen, es ist ja schon schwierig genug sich überhaupt soweit durchzuringen seine Gefühle zu gestehen und wenn man dann so entmutigt wird, hätten wohl die wenigsten das durchgezogen. Ich bin froh das sie Ben hat, den Jungen schließe ich wirklich immer weiter ins Herz. Und es ist generell unheimlich interessant zu sehen, wie das Leben vorher in Aldcrest war, vor allem auch Ben's Situation mit der Scheidung. Ich freu mich schon auf nächsten Sonntag! *-*

    Auch das Bild ist echt cool. Die beiden haben eigentlich nichts miteinander zu tun und sind doch irgendwie in der Situation vereint. Das ist ziemlich gut dargestellt! ^^

  • #5

    Prinzessin Dracula (Sonntag, 04 Dezember 2016 22:11)

    Aévyn! *-* Ich mag sie, sie ist super sympathisch und es ist so mutig, dass sie zu Evelyn gehen will und ihr gestehen will, dass sie verliebt ist, und es ist so verständlich, dass sie dann zurück rudert und so traurig ist ...
    Und Ben - einfach mal wieder nur super süß, dieser Junge! Kann ich bitte auch so einen haben? :D
    Wirklich schön geschrieben, liebe Ivy!

    Das Bild ist toll. Ich mag die klare Trennung, dass die beiden voneinander abgewandt sind und irgendwie dabei gedanklich doch in der gleichen Welt sind, irgendwie nah, obwohl sie sich kaum kennen und sich sonst nichts zu sagen haben.
    Katherine hat echt was von einer Oma, wie Lilly sagt - aber so eine, mit der du dich super verstehtst, so eine Kumpel-Oma, die mit dir Kurze kippt und die allerschrägsten aber besten Ratschläge gibt. :D

  • #4

    Lilly (Sonntag, 04 Dezember 2016)

    Ivy-Schatz :) Ich gestehe ja, ich hab mich explizit auf dieses Adventssonntag-Türchen ganz besonders gefreut... Aévyn ist da XD
    Sie ist echt so eine süße Maus. Viel bekommt man ja noch nicht von ihr mit, aber ich finde, genau die richtige Essenz. Sie traut sich nicht, Evelyn zu sagen, dass sie verliebt in sie ist, aber ist trotzdem kein Mäuschen. Verstecken tut sie sich nicht, sondern schreit ihren ganzen Frust ins Meer und Ben gegenüber zögert sie auch keine Sekunde und verstellt sich nicht... ganz Aévyn eben. Ich hab so ein Gefühl, dass die Liebe bei Madame noch anklopfen wird :)
    Ich finde es auch so niedlich, wie sie bei Evelyn rumstöpselt und die einfach so BLÖD ist XD Ich meine, SERIOUSLY, Evelyn!!! Und ich find es auch toll, dass sich ihre Story nicht um ein Anti-Homo-Drama dreht... das steht eben nur im Hintergrund. Aévyn hat sich verliebt, die andere Person nicht und ihr Herz hat einen kleinen Knacks :) Manchmal denk ich mir, es sollte echt mehr solche Storys geben, umso mehr freue ich mich auf diese und damit auf die Adventssonttage :)

    Und Nature! Wundervolle Nature! Die beiden sind schon unheimlich niedlich. Getrennt durch die Tür und auch die verschiedenen Gesichtsausdrücke: Lilia so down, aber Katherine irgendwie so ruhig und stark. Wie so eine Großmutter (im allerpositivsten Sinne :D). Irgendwie etwas Standfestes, Gutmütiges, finde ich. Und auch, wie sie so ruhig ihr Bein festhält, was ich übrigens wundervoll gezeichnet finde :) Ihr talentierten Menschen macht mich noch fertig XD A moment of weakness... sehr treffend :)

    Ich freu mich auf morgen :)

  • #3

    Nature (Sonntag, 04 Dezember 2016 14:08)

    Hey!

    Wow, Aévyn´s Geschichte ist schon jetzt unglaublich berührend! ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht, sie ist ein wirklich sympathischer Mensch!

    Einen wunderschönen 2. Advent euch allen!

  • #2

    Franzi (Sonntag, 04 Dezember 2016 12:36)

    Oh yeahy! Ich habe mich schon auf den Sonntag gefreut, weil ich wusste, dass dan Ivys Vierteiler zu Aévyn kommt. Und tja, was soll ich sagen? Obwohl ich einen Teil schon kannte, hast du mich mal wieder verzaubert, liebste Ivy und ich bin sehr gespannt darauf, die nächste drei Teile zu lesen. Mit Aévyn kommt eine ganz besondere Stimmung auf den Leser zu, man hat das Gefühl, das Mädchen schon ewig zu kennen. Es schmerzt, dass es für sie nicht so lief, wie erhofft, und doch ist es toll zu sehen, welch guter Freund Ben ist. Obwohl es sich um einen OS handelt, bekommt man noch einmal Einblicke in die Charaktere und es werden schöne, kleine Details eingebaut, was ich toll finde. Und die kleine Parallele, dass Mr DeLuce die Schüler nach der Geisterepisode ans Meer schickte, um zu schreien, dass Ben es nach dem Umzug tat und nun auch Aévyn, ist toll und erzeugt eine gewisse Melancholie. Leider klopft da ja auch ein bisschen etwas Trauriges an, weshalb ich es umso besser finde, dass wir weiter lesen dürfen. :) Ein toller Einstieg!

    Uhi, und dann das Bild zu Lilia und Katherine. Vielleicht mögen die Beiden tatsächlich sehr unterschiedlich wirken, gerade auf den ersten Blick, aber das war eine Szene, die sie verbunden hat und die Diverenz und doch das Gemeinsame hast du schön in dem Bild dargestellt, Nature. :)

  • #1

    Ivy (Sonntag, 04 Dezember 2016 09:29)

    Guten Morgen :)

    das Bild ist ja wirklich süß mit Katherine und Lilia^^ So schön verträumt und doch hat es was melancholisches an sich. "Back to back" könnte der Titel auch lauten. Ich muss gestehen, dass ich mir Lilia und Katherine so schlecht als richtige Freundinnen vorstellen kann, aber auf dem Bild sind sie einfach so harmonisch nebeneinander zu sehen, wodurch doch trotz allem noch diese Distanz herrscht.

    Eine wirklich gelungene Zeichnung. :)