A L S - I C E - B U C K E T - C H A L L E N G E

Die dargestellten Meinungen entsprechen nicht zwangsweise denen der Autorin.



Evelyn quietschte erschrocken auf und sprang aus der Dusche. Das Wasser, das normalerweise angenehm warm aus dem Duschkopf kam, war heute eisig kalt, als hätte jemand frisch geschmolzenen Schnee in die Wanne laufen lassen.

„Oh Gott, ist das eklig...“ Na, wenigstens war sie jetzt wach. Zitternd beschloss sie, für heute auf die Dusche zu verzichten und wühlte sich in ihren flauschigen Bademantel. Im Zimmer richtete sich Janessa genervt auf.

„Evelyn Green. Es ist Sonntag Morgen und noch nicht einmal sieben, kannst du mir bitte mal erklären, weswegen du so einen Aufstand machen muss? Um diese Zeit?“

„Das warme Wasser ist aus“, bibberte Evelyn und suchte nach ihren Klamotten. Vielleicht war es ja unten beim Frühstück wärmer. „Irgendwas muss mit den Leitungen sein, vermutlich ist wieder eine von diesen dämlichen Katzen gegen den Boiler gerappelt.“

Janessa rollte die Augen. „Und deswegen dieser Terz? Ehrlich, Evelyn, werd erwachsen, es ist nur ein bisschen kaltes Wasser.“ Das blonde Mädchen drehte sich um und Evie warf ihrem schlanken Rücken einen bösen Blick zu. Sie hätte den Mund halten und Janessa einfach ins offene Messer rennen lassen sollen. Oder eher ins kalte Wasser. Evelyn hatte das Gefühl, ihr ganzer Körper war taub, als sie in ihre Jeans und den Pullover schlüpfte. Sie zog ihre Schuhe an und knallte die Tür hinter sich zu. Das verärgerte „EVELYN GREEN!“ hinter der Tür ignorierte sie mit Befriedigung. Jeden Tag eine gute Tat und so. 

Ein Kreischen hob im Zimmer neben ihr an und Evelyn schmunzelte. Scheinbar war nicht nur bei ihr das Wasser ausgefallen, sondern im gesamten Mädchentrakt. Wehe, wenn die Jungs verschont geblieben waren. Liam würde ihr das ewig vorhalten.


Als Evelyn sich das Frühstück auf ihren Teller lud, fiel ihr eine Gruppe Schüler ins Auge. Sie erkannte Elijah, John und Manuela, die sich über irgendetwas auf dem Tisch gebeugt hatten und Evies natürliche Neugierde war geweckt. Nachdem sie sich eine Müslischale geschnappt und einen von den schönen Äpfeln ergattert hatte, lenkte sie ihre Schritte zu dem Tisch und musste feststellen, dass auch Rory und ihr Bruder dazugestoßen waren.

„Macht hier einer Party ohne mich, oder was?“ Evelyn schob das Tablett auf den Tisch und die Anderen machten Platz für sie. John rückte auf und Evies Blick fiel auf Smartphone, das auf der Tischplatte lag, auf dem ein Video lief.

„Wem seins ist das?“ fragte sie.

„Wessen“, verbesserte Manuela. „Genitiv.“

„Mach dich locker, Manu“, grinste Evelyn. Manchmal konnte die einem wirklich auf den Senkel gehen. „Also... WESSEN Handy ist das?“John hob die Hand.

„Schuldig. Hast du schon das neuste Video gesehen?“ 

„Die Frage ist echt dämlich, John.“

„Sorry.“ Erins Bruder lachte. „Ice Bucket Challenge. Schon mal gehört?“

„Ist das das, wo sich Leute dabei aufnehmen, wie sie sich Eiswasser über den Kopf schütten?“ Irgendetwas klingelte vage in Evelyns Kopf.

„Ja, aber für einen guten Zweck“, erklärte Rory und quetschte sich auch auf die Bank. „Du hast irgendwie 24 Stunden oder so Zeit und wenn dus nicht machst, musst du spenden. Da machen eine ganze Menge Promis mit und es wird echt viel gesammelt. Und noch dazu ist es lustig, wenn sich Justin Bieber Eis über den Kopf kippt.“

„Wer ist Justin Bieber?“ Das war Manuela. Fassungslos starrten alle sie an. Dann begannen John und Liam zu lachen und auch Evelyn konnte nicht mehr an sich halten.

„Ist das dein Ernst Manu? Du kannst das Periodensystem auswendig, aber du weißt nicht, wer Justin Bieber ist?“

„Nein.“ Manus bernsteinfarbene Augen blickten verwirrt drein. „Ist das ein Wissenschaftler?“

Jetzt prustet auch Rory los. „Nein, das ist ein Sänger.“

Liam hustet. „Sänger... naja.“

John  stieß ihn an. „Justin Bieber ist ein Sänger, Manu. Relativ jung noch, macht  hauptsächlich Pop-Musik glaube ich und spaltet die Nation. Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn.“

„Ach komm, nur kleine Mädels und Muttis stehn auf Justin Bieber!“, protestierte Liam. „Was der singt, ist doch nicht erträglich.“

„Aha“, machte Manu.

„Um mal auf das Ursprungsthema zurückzukommen“, lenkte Evelyn das Gespräch wieder zurück. „Der hat daran teilgenommen?“

„Ja, zweimal sogar...“ John schob ihr das Handy hin und Evelyn konnte nun ebenfalls sehen, wie der Sänger sich vor laufender Kamera einen Eimer Eiswasser über dem Kopf ausleerte und versprach an die ALS-Stiftung zu spenden. John nahm das Handy wieder an sich.

„Was zum Teufel ist ALS?“, wollte Evelyn wissen und machte sich über das Müsli her. Das war das Startsignal für Manuela. Mochte ihr Justin Bieber kein Begriff sein, mit ALS konnte sie etwas anfangen.

„ALS ist eine Nervenkrankheit“, ratterte sie die Fakten herunter. „Die Abkürzung steht für Amyotrophe Lateralsklerose,  man spricht auch von Motor Neuron Disease, weil eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems ist. Benannt wurde sie von...“


„Stopp, stopp, stopp...“ Liam ging dazwischen. „Langsam, Manu... geht das auch verständlicher? Du weißt schon... für Leute, die kein Lexikon im Kopf haben?“


„Es bedeutet, dass die Krankheit deine körperlichen Fähigkeiten einschränkt“, schritt Elijah ein. „Sie greift deine Motorik an, was im Klartext bedeutet, dass deine Muskeln ausfallen, es kommt zu spastischen Lähmungen. Die Krankheit stört die Funktion des ersten und zweiten Motoneurons...“ Er fing Liams Blick auf und ging mehr ins Detail.

„Es geht um die Nervenzellen, die deine Muskulatur bedienen. Wenn du deinen Arm heben willst, dann fasst du im Gehirn den Entschluss dazu. Es, also dein Gehirn, gibt einen Reiz, der über die Nervenbahnen durch den Körper an den Arm geleitet wird und der Muskulatur den Befehl gibt, sich zu bewegen. Motoneuronen ist der Begriff für zwei Gruppen von Nervenzellen, beziehungsweise die Nervenenden, die die Signal von einem bestimmten Bereich zu einem anderen leiten.“


„Okay, ich komm wieder mit.“ Liam nickte langsam. „Und weiter?“

„Motoneuronen sind einfach ausgedrückt verantwortlich für Muskelkontraktionen, also, sie geben den Reiz an den Muskel im Arm, sich zusammenzuziehen oder zu strecken. Sprich: dein Arm hebt oder senkt sich. Die Folge von ALS ist jetzt, dass es bei den beiden Motoneuronen zu Störungen in der Funktionsweise kommt.“

Manu sprang jetzt wieder ein.


„Wird das erste Motoneuron  geschädigt, kommt es in der Regel zu Lähmungen am Kiefer, häufig daraus resultierend ergeben sich Sprach-und Schluckstörungen, verlangsamter Gang, eingeschränkte Funktion der Hände und im ganz hässlichen Fall auch eine Kieferklemme.“

„Kieferklemme?“, erkundigte sich Evelyn schaudernd, doch John schüttelte den Kopf.

„Das willst du nicht wissen, Evie, glaub mir, es ist genau das,  wonach es sich anhört.“

„Gruselig“, murmelte Evelyn und schüttelte sich, auch Rory sah jetzt ziemlich verstört aus. 

„Ich hab ja gewusst, dass das furchtbar ist“, sagte sie leise. „Aber das ist ja grauenhaft.“


„Wird das zweite Motoneuron betroffen..“, fuhr Manuela gnadenlos fort. „...kommt es zu athropischen Lähmungen. Die Muskeln werden abgebaut, das bedeutet Muskelkrämpfe und typisch ist auch eine Fibrillation der Zunge.“

„Was...“, begann Evelyn und wandte sich hilfesuchend an Elijah, der ihr Manus Kauderwelsch erklärte:

„Spontane Zuckungen. Du kannst nicht mehr vernünftig reden, bist praktisch gefangen in deinem eigenen Körper und Muskelkrämpfe sind richtig schmerzhaft. Du kennst das ja bestimmt vom Sport. Und athropisch bedeutet in dem Fall, schätze ich, den Schwund von Muskelgewebe.“


"Und darum geht es bei diesem Phänomen“, beendete John die Erklärungen. „Der Eimer Eiswasser soll das Gefühl der Lähmung hervorrufen und simulieren, wie sich die Betroffenen fühlen. Es gibt eigentlich keine Heilung, man kann nur gegen die Symptome angehen, aber im Grunde war's das. Die Spenden sollen in die Forschung fließen, damit sich daran hoffentlich in Zukunft etwas ändert.“

Elijah schnaubte leise und verfrachtete seinen Teebeutel auf den Tellerrand.

„Aber dann ist das ja eine gute Sache“, meinte Rory optimistisch und deutete auf Johns Handy, das er an die Seite gelegt hatte. „Ich meine, die Idee ist ja klasse, oder? Gerade die Promis, die haben doch genug Geld, da können sie ruhig mal was spenden.“

„Und es ist lustig anzuschauen“, bemerkte Evelyn. „Ich meine, die Leute sehen sich das an und werden dann auf die Krankheit aufmerksam. Und es ist nicht sowas Dämliches wie damals mit dem Bier oder so. Alles für einen guten Zweck.“

Wieder kam ein Schnauben von Elijah und John lachte auf.


„Nicht jeder sieht das so, Evie. Das Ganze hat auch seine Kritiker. Besser, du schneidest das Thema nicht bei meiner Schwester an.“

„Was meint die denn?“, wollte Liam wissen und auch Rory beugte sich vor. „Erin setzt sich doch für solche Sachen ein, oder?“

„Naja, Erin würde dir erklären, dass alle fünf Sekunden irgendwo auf der Welt ein Kind an Mangelerscheinungen und Dehydration stirbt. Leute schüttet sich literweise Eiswasser über den Kopf und in Afrika verdursten die Kinder oder sterben, weil das Wasser, das sie trinken müssen so schmutzig ist, dass wir nicht einmal unsere Autos damit waschen würden.“

„Naja...“ Liam zögerte. „Ich will Erin nicht kritisieren, aber es wird ohnehin viel Wasser verschwendet. Ich finde es gut, dass es wenigstens einem guten Zweck dient. Ich meine, immerhin werden hier Spenden für eine ernste Krankheit gesammelt und kein... Auto gewaschen.“

„Sag das nicht Erin“, warnte ihn John. „Die sieht das ganz anders, und naja, ganz unrecht hat sie damit auch nicht. Es ist schon ein massiver Wasserverbrauch, auch wenn damit ein Zeichen gesetzt wird.“

„Wenn es nur das wäre“, murrte Elijah. „Das Ganze ist ein totaler Witz.“

Rory hob die Augenbrauen. „Wie meinst du das denn jetzt?“


Elijah schien zu zögern, doch dann schob er sein Müsli beiseite. „Jedes Jahr erkranken um die vierhunderttausend Menschen an Krebs und das nur in unserem Land. Ungefähr fünfzig Prozent überleben die ersten zehn Jahre, Rückfälle nicht mitgerechnet.Über dreiunddreissig Millionen Menschen weltweit leben mit HIV, mehr als fünfundzwanzig Millionen sterben jährlich. Bis vor Kurzem hat noch kein Mensch von ALS gehört und jetzt ist es mit einem Mal durch diese Challenge eine Art Mode, für diese Organisation zu spenden. Es ist ja schon fast ein Zwang.“

„Jetzt übertreib mal nicht“, warf Liam ein. „Es steht doch jedem frei zu spenden. Also, ob er will und wofür.“

„Da bin ich mir nicht so  sicher.“ Elijah schob sich dir Brille auf die Nase. „Rory hat es doch schon ganz richtig gesagt. „Das sind Prominente, die können ruhig mal ihr Geld teilen.“

„Aber das ist doch auch so“, verteidigte sich Rory. „Wer mehr Geld hat, kann das auch mal teilen. Für das Allgemeinwohl.“


„Kann, muss aber nicht. Jeder sollte frei entscheiden können, was er mit seinem Geld macht.“ Er seufzte. „Was ich sagen will, ist, das ALS bis vor Kurzem noch gar nicht in den Köpfen der Menschen existiert hat. Niemand hatte einen Bezug dazu. Dagegen kennt fast jeder jemanden, der an Krebs erkrankt ist. Aber diese Challenge kreiert ein Setting, bei dem es nicht die Möglichkeit gibt, nein zu sagen. Natürlich ist es an sich eine gute Sache, bei der Erforschung einer solchen Krankheit finanziell zu helfen. Aber nicht auf Grund eines Gruppenzwangs, sondern auf Grund einer freien Entscheidung. Stell dir vor, dieser Sänger hätte jetzt gesagt, nein, mit ALS kann ich nichts anfangen, ich spende lieber für eine Krebsstiftung oder ein Kinderhospiz. Oder ich gebe einem Obdachlosen auf der Straße Geld. Der würde doch gepfählt werden von der Öffentlichkeit, würde seine Fangemeinde verlieren.“


„Naja, auf jeden Fall rückt es so mehr ins öffentliche Interesse“, lenkte John ein. „Niemand hatte einen Bezug zu der Krankheit, keiner wusste davon. Es ist nicht schlecht, dass eine Art öffentliches Bewusstsein stattfindet und mal ganz egal, wie die Situation ist, es wird Geld gespendet für eine gute Sache, das ist doch die Hauptsache.“ 

Liam, Evelyn und Rory nickten langsam. Eine Weile blieb es still.

„Und Justin Bieber ist also ein bekannter Sänger?“, erkundigte sich Manu dann plötzlich.



***


Auch an einem anderen Tisch wurde über dasselbe Thema diskutiert. Anlass war ebenfalls das neue Video und das kalte Wasser in der Dusche. Ishan hatte einen Witz gemacht, dass wenigstens so jeder von ihnen unfreiwillig an der Herausforderung teilgenommen hatte, denn auch bei den Jungs war das Wasser kalt geblieben. Angeblich war der Hausmeister, den noch niemand in der Schule je zu Gesicht bekommen hatte, informiert und eine genervte Wyn, die extra dafür hatte in ins Internat kommen müssen, erklärte, dass das Problem voraussichtlich bis zum Mittag gelöst sein würde. Ishan und PJ hatten bei Derra Platz genommen und irgendwie war die pinkhaarige Cadie ebenfalls an ihrem Tisch gelandet. Vor allem Ishan, der zwar viel herumgekommen war, aber an dem die Ice-Bucket-Challenge irgendwie vorbeigegangen war, ließ sich von PJ aufklären, was es damit auf sich hatte.

„Ich glaube, ich hab mal davon gehört“, erinnerte sich der Türke nachdenklich. „Nicht von der Challenge natürlich, aber von der Krankheit.“

„Es muss schrecklich sein, wenn man danebenstehen muss, ohne helfen zu können“, meinte Derra. „Für die Kranken sowieso, aber für die Angehörigen?“

„Denen hilft das Spendengeld auch nichts“, stellte Cadie nüchtern fest. „Forschung dauert ewig, Jahre, bis da etwas herauskommt...“ Sie zuckte die Achseln. „Den Kranken von heute hilft das nichts mehr. Vermutlich kommt da erst zwei Generationen nach uns etwas bei herum.“

„Nach zwei Millionen Tierversuchen“, murmelte PJ. „Ernsthaft, ich seh das ja wirklich positiv, aber wenn ich an die ganze Pharmazie denke, wird mir schlecht. Testmäuse und so. Nicht jeder hats so gut wie Holly und Ally.“

„Holly und Ally?“, wollte Derra belustigt wissen. „Sind das die beiden Mäuse oben bei dir im Terrarium?“

PJ nickte und Cadie grinste. „Süß“, meinte sie. „Die zwei hat es mit Sicherheit besser getroffen, außer du nutzt sie für deine Chemiehausaufgaben.“

„Was? Nein, natürlich nicht“, empörte sich PJ, doch Ishan lachte.

„War nur ein Scherz“, grinste Cadie.


„Geht es um dieses dämliche Ice-Bucket-Teil?“ Janessa war hinter Derra erschienen und setzte sich ungefragt an den Tisch. „Sind deswegen die Duschen so eisig? Ich hoffe, das war ein schlechter Scherz und das wird ganz schnell behoben.“

„Da ist je jemand sehr wertend unterwegs“, spottete Ishan und fing sich einen scharfen Blick der selbsternannten Schulkönigin ein.

Pharrell verdrehte die Augen. „Nein, das liegt an den Leitungen. Wyn war vorhin da.“

PJ wurde von Janessa völlig ignoriert. „Ich bin nicht wertend, ich bin nur realistisch“, ging sie den Türken an. „Das ist einfach nur totale Volksverdummung und jeder, der da mitmacht, dem kann ich nur den Vogel zeigen.“

„Nessa“, räusperte sich Derra vorsichtig und hob eine Augenbraue, doch war die heute ohnehin mies gelaunt und fuhr herum.

„WAS? Es ist doch wahr! Als ob irgendjemand was davon hat, wenn sich Leute Wasser über den Kopf kippen!“

„Nessa, du übersiehst da vielleicht den Punkt mit der ernstzunehmenden Krankheit.“ Derra runzelte die Stirn und auch die Anderen sahen nicht sonderlich begeistert aus. „Vielleicht bist du nicht betroffen, aber die Krankheit ist real.“


„Sperr deine Ohren auf, Abderrahim, ich hab nichts gegen die verdammte Krankheit gesagt, ich verurteile den Hype“, fauchte Janessa. „Glaubst du wirklich, dass das ganze Geld in die Forschung fließt? So naiv kannst du doch nicht sein! Mein Onkel hat bei lange Jahre bei einer katholischen Hilfsorganisation gearbeitet, die überall mit ihrem Tun in Entwicklungsländern uns bei Katastrophen geprotzt hat. Glaub mir, das ist alles eine einzige Abzocke.“


„Du kannst doch nicht alles über einen Kamm scheren“, begehrte PJ auf. „Klar, dass nicht alle Organisationen sauber sind, aber gerade wenn das so im öffentlichen Interesse steht, meinst du, die können es sich leisten da zu pfuschen?“

„Wer redet hier von Pfuschen?“, knurrte Janessa. „Das ist alles legal, du Armleuchter. Nur zwanzig Prozent jeder Spende gehen tatsächliche in solche Projekte wie Forschung und direkte Hilfe. Die restlichen achtzig Prozent steckt sich die Organisation selbst ein, der Vorsitz, die Beamten, die Mitarbeiter. Was meinst du denn, wie sich der Papierkram und die Publicity bezahlt, ganz zu schweigen von den Privatgehältern? Mein Onkel hat sehr gut damit leben können. Mit SPENDEN. Spenden, die Leute abgetreten haben, um ihr Gewissen zu beruhigen oder von mir aus auch in dem Glauben, mal was Anständiges getan zu haben. Die profitieren von der Naivität der Leute.“

„Du willst damit also ausdrücken, die Krankheit wird missbraucht, um sich persönlich zu bereichern?“, formulierte Derra es ein wenig humaner um.

„Ich will das nicht 'ausdrücken', das IST so.“ Janessa warf genervt ihr Haar zurück. „Die Vorsitzende der ALS-Stiftung verdient sich eine goldene Nase damit. Ihr solltet wirklich mal mehr Zeitung lesen, das ist ja peinlich.“


„Und du verurteilst zu stark“, gab Derra gelassen zurück. „Das mit den achtzig Prozent baut nur auf eine vage Aussage von deinem Onkel. Bleiben wir doch bei den Fakten, die da sind, dass für die Bekämpfung einer gefährlichen Krankheit auf eine sehr kreative Weise geworben wird. Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern stehen gemeinsam auf für eine Sache. Ich sehe da nicht die Korruption, Nessa. Ich sehe da die Menschlichkeit.“

"Und die Kreativität." PJ nickte. „Du und ich... wir alle wissen jetzt, dass ALS existiert. Es ist nicht länger etwas, das einfach untergeht. Die Betroffenen erfahren Unterstützung auf der ganzen Welt, Spenden werden gesammelt. Da kann man kurzzeitig glauben, dass Menschen doch noch etwas bewegen.“


„Ja, und abends gehen sie wieder nach Hause, verprügeln ihre Ehefrauen, vergewaltigen ihre Kinder und bewerfen Homosexuelle mit Steinen“, murrte Janessa, doch Derra ging dazwischen. „Ist gut jetzt, Nessa, iss dein Frühstück und dann versuchs mal mit ein bisschen Optimismus und Mitgefühl.“

Cadie kicherte leise, doch diesmal blieb Janessa stumm. „In einem hat unser Shir-Khan allerdings Recht“, grinste Cadie. „Wir haben tatsächlich alle die Challenge erfüllt. Nur gut, dass uns keiner dabei aufgenommen hat.“